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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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stöhnte.
    »Jetzt mach mir doch nicht noch mehr Sorgen, ich habe ohnehin schon genug.«
    Er senkte beschämt den Blick.
    »Verzeihung. Ich versuche nur, herauszufinden, was in dich gefahren ist.«
    »Danke, aber ich habe noch immer das Steuer in der Hand, wirklich. Setz dich. Du solltest die Beine hochlegen, du vernachlässigst dich, so ist das nämlich. Benutzt du die Heizdecke, die ich dir gekauft habe?«
    »Ich vergesse immer, den Stecker einzustöpseln. Ich bin ein alter Mann, ich kann mir nicht alles merken. Und ich habe immer Angst vor einem Kurzschluß.«
    »Dann müssen wir eine Zeitschaltung besorgen.«
    »Hast du geerbt?«
    Totenstille folgte. Die ersten Tropfen glühendheißen Wassers landeten im Filter, und Kaffeeduft strömte durch die Küche.
    »Nein«, sagte Eva leise. »Aber ich will mir vom Geldmangel nicht länger mein Leben verderben lassen.«
    »Ach, du druckst dein Geld jetzt selber! Das habe ich mir doch gedacht.«
    Zufrieden ließ er sich auf einen Stuhl sinken. »Ich möchte dazu eine Tia Maria.«
    »Das weiß ich.«
    »Das weißt du also? Daß heute der 5. Oktober ist?«
    »Ja. Dieses Datum vergesse ich nie, und ich werde es auch in Zukunft nie vergessen. Du trinkst für Mama eine Tia Maria, weil sie dich darum gebeten hat.«
    »Du kannst beim Einschenken ruhig ein bißchen großzügig sein.«
    »Das bin ich immer, ich kenne dich doch.«
    Er bekam seinen Likör, sie tranken Kaffee und schauten aus dem Fenster. Es machte ihnen nichts aus, gemeinsam zu schweigen, das taten sie oft. Jetzt sahen sie zur Scheune der Nachbarn hinüber, zum Ahornbaum, der blutrot und gelb war, und sie entdeckten, daß sich auf einer Seite die Rinde löste.
    »Jetzt werden sie den Baum bald umhauen«, sagte der Vater leise. »Sieh mal. Auf dieser Seite hat er fast keine Zweige mehr.«
    »Aber er ist doch trotzdem ein schöner Baum. Ohne ihn wird der Hof sehr nackt aussehen.«
    »Aber er ist krank, weißt du. Dieser Baum ist einfach nicht mehr zu retten.«
    »Sollen denn alle großen Bäume abgehackt werden, bloß, weil sie nicht mehr perfekt sind?«
    »Nein. Weil sie krank sind. Er hat schon einen neuen gepflanzt, dahinten, links.«
    »Diesen kleinen Stummel?«
    »So fangen sie eben an. Der wird schon noch größer, aber das dauert eben seine vierzig, fünfzig Jahre.«
    Eva schlürfte ihren Kaffee und schaute verstohlen auf die Uhr. Jetzt war er sicher schon seit langem zu Hause, er hatte ihren Zettel gelesen, hatte vielleicht mit seiner Frau überlegt, ob sie verkaufen sollten. Oder nein, das hatte er nicht, er entschied selber. Aber vielleicht hatte er einen Kumpel angerufen und sich erkundigt, was er für einen guterhaltenen Manta verlangen könnte. Sie hoffte, daß er sie nicht fragen würde. Sie hatte schließlich keine Ahnung. Sie könnte höchstens antworten, sie müsse sich selber noch kundig machen. Vielleicht wusch er jetzt ja gerade sein Auto, oder er war mit dem Staubsauger am Werk. Oder vielleicht hatte er ihren Zettel gelesen, verächtlich geschnaubt und ihn weggeworfen, oder vielleicht hatte der Wind das Papier weggeweht, und Einarsson hatte es nie gesehen. Jetzt saß er wohl mit einem Bier vor dem Fernseher und hatte die Füße auf den Tisch gelegt. Während seine Frau um ihn herumwuselte und den Kleinen ermahnte, leise zu sein, zumindest, bis Papa die Nachrichten gesehen hatte. Oder vielleicht war er zum Bowling mit seiner Clique in die Stadt gefahren. Das alles überlegte sie sich und schlürfte dabei weiter ihren Kaffee, es gab tausend Gründe, warum er vielleicht nicht anrief. Aber es gab auch einen Grund für seinen Anruf: Geld. Es würde sich zeigen, ob er so gierig war wie sie selber, und davon war sie eigentlich überzeugt. Außerdem bestand für ihn die Möglichkeit, etwas loszuwerden, das immerhin mit dem Mord in Verbindung gebracht werden konnte. Sie führte gerade die Tasse an die Lippen und betrachtete den kranken Baum vor dem Haus, als es plötzlich klingelte. Der Kaffee schwappte ihr übers Kinn, als sie aufsprang.
    »Was ist los?«
    Ihr Vater sah sie überrascht an.
    »Dein Telefon klingelt, ich gehe ran.«
    Sie lief ins Arbeitszimmer. Schloß vorsichtig hinter sich die Tür und mußte sich erst ein wenig beruhigen, ehe sie mit zitternden Händen den Hörer abnehmen konnte. Es stand ja nicht fest, daß er es war. Vielleicht war die Haushaltshilfe krank geworden. Oder vielleicht war es Emma, oder jemand hatte sich verwählt.
    »Liland«, sagte sie leise.
    Einen Moment lang war alles

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