Evas Auge
Zukunft und darüber, wie alles enden wird.
Das Geld lag jetzt sicher im Keller ihres Vaters. Eva hatte den Eimer in eine Ecke geworfen, und dort sah er so wertlos aus wie im Schuppen von Majas Ferienhaus. Ihr Vater ging nie in den Keller, die steile Treppe machte ihm zu große Probleme. Und auch sonst kam dort nie jemand hin, falls die Haushaltshilfe dort unten nichts suchte, aber warum sollte sie? Keller und Dachboden brauchte sie nicht aufzuräumen, das stand in den Dienstvorschriften.
Der Busbahnhof war das häßlichste Gebäude, das Eva je gesehen hatte, ein grauer, länglicher Kasten aus Beton mit leeren Fenstern. Ihr Wagen stand auf der Rückseite, bei der Eisenbahnlinie, jetzt lehnte sie am Kiosk und blickte zur Brücke hoch, über die er kommen mußte. Er würde nach rechts abbiegen, hinter der Bank verschwinden und gleich darauf vor dem Kiosk halten. Er würde nicht aussteigen, um sie zu begrüßen, dazu war er nicht der Typ, er würde im Auto sitzenbleiben und Eva aus zusammengekniffenen Augen betrachten, vielleicht kurz nicken, eine Art Signal, daß sie einsteigen solle. Sie würde ziemlich dicht neben ihm sitzen müssen, nur durch die Gangschaltung von ihm getrennt. In einem Auto sitzt man ziemlich eng, dachte sie, so eng, daß ich seinen Geruch wahrnehmen werde, und seine Stimme wird gleich neben meinem linken Ohr zu hören sein. Seine schroffe, unfreundliche Stimme. Sie räusperte sich nervös und formulierte eine einleitende Bemerkung. Vielleicht eine, bei der ihm das Blut in den Adern gefrieren würde? Sie verwarf diese Idee wieder und starrte die Autos an, die in gleichmäßigem Tempo über die Brücke fuhren. Sie konnten nicht schnell genug die windige Stadt hinter sich lassen. Alle hatten ein Ziel, niemand fuhr einfach aus Lust und Laune durch die Gegend, nicht an so einem Abend. Die Busse brummten freundlich vor den Garagen, und die Leute flüchteten sich ins Licht und in die Wärme. Diese roten Busse mochte Eva gern. Die soliden Fahrer, die sich über ihre Lenkräder beugten, und die träge nickten, wenn jemand eine Fahrkarte bezahlte, die Gesichter hinter den Fenstern, herbstlich bleich, mit Augen, die starrten und doch nichts sahen. In einem Bus war man im Niemandsland, den eigenen Gedanken preisgegeben, man saß einfach nur da in der Wärme und folgte den Bewegungen des Fahrzeuges. Plötzlich hätte Eva gern an einem der Fenster gesessen, wäre durch die Stadt gefahren und hätte zugesehen, wie alle ihre eigenen Türen fanden, ihre eigene vertraute Höhle. Statt dessen stand sie hier und fror, rieb sich die kalten Hände in den allzu dünnen Handschuhen, und wartete auf einen Mörder. Als er plötzlich um die Ecke bog, stieß Eva alle Luft aus. Von diesem Moment an atmete sie in einem ganz besonderen Rhythmus, der sich von nichts mehr beeinflussen ließ, sie hatte das Gefühl, in einer eisernen Lunge zu stecken. Sie mußte sich konzentrieren, durfte sich nicht ablenken lassen, durfte sich nicht versprechen, mußte sich vorsichtig vorwärts tasten. Nun fuhr er langsamer, jetzt ging der Motor im Leerlauf, und der Mann beugte sich zum Seitenfenster vor. Er sah dämlich und ein wenig skeptisch aus. Sie öffnete die Tür und stieg ein. Er umklammerte den Schalthebel, mit einem Trotz, als sei der ein Spielzeug, das er mit niemandem teilen wollte. Eva erschien das wie eine Warnung. Der Mann nickte kurz.
Sie griff nach dem Sicherheitsgurt.
»Fahren Sie zuerst eine Runde, danach probiere ich es dann mal.«
Er gab keine Antwort, sondern schaltete und fuhr quer über die auf dem Boden markierten Busfelder. Sie spürte, daß er auf irgend etwas wartete, vielleicht sollte sie zuerst etwas sagen, schließlich hatte sie die Initiative ergriffen.
Ich bin nicht feige, verdammt noch mal, dachte Eva.
»Haben Sie keine Angst, wenn Sie am Straßenrand Fremde auflesen?« fragte sie mit süßer Stimme.
Es war 21.40, am 5. Oktober, und Evas Vorstrafenregister war weiß wie Schnee.
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S eine Hand ruhte träge auf dem Lenkrad, und er ließ den Schalthebel nicht los, diesen kurzen, sportlichen Schalthebel in seiner rechten Hand. Und die starrte sie an. Die kurze breite Hand mit den dicken Fingern. Sie war glatt, unbehaart, die linke Hand, die das Lenkrad hielt, war schlaff, die andere, die am Schalthebel, eine bleiche Kralle. Diese Hände sahen aus wie Bilder in Emmas Büchern, wie blinde und farblose Unterwassertiere. Die Oberschenkel des Mannes waren kurz, sie drohten, die Jeans zum Bersten zu bringen, die
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