Evas Auge
hatte, hatte er sie ja vielleicht doch umgebracht, dachten sie. Natürlich blieben sie human, obwohl es sich um einen Mord handelte, das gemeinste, grausamste aller Verbrechen. Und doch konnte sie sich problemlos irgendeinen Rohling mit stechendem Blick vorstellen, der dem Busfahrer jeden Rest von Sicherheit und Würde nahm. Vielleicht konnte sich Sejer bei all seiner stummen Geduld in einen solchen Albtraum verwandeln. Unmöglich war das nicht. Und irgendwo saß vielleicht eine jammernde Ehefrau, die vor Angst fast den Verstand verlor. Im Grunde, dachte Eva, dürfen wir uns allesamt nicht sicher fühlen.
Sie suchte aus einem Schrank, den sie normalerweise nicht benutzte, einige Kleidungsstücke heraus. Eine alte Hose mit Taschen auf den Oberschenkeln, aus einer Verkaufsstelle für alte Militärartikel. Die Hose war dick und steif und unbequem und paßte nicht zu Eva, und deshalb war sie jetzt gerade richtig. Sie mußte aus sich heraus, dann würde ihr alles leichter fallen. Ein schwarzer Rollkragenpullover und weiße Gummistiefel waren jetzt ebenfalls richtig. Dann setzte sie sich mit Block und Bleistift an den Eßtisch. Sie kaute auf dem Bleistift herum, mochte den Geschmack von porösem Holz und weichem Graphit, sie leckte auch gern vorsichtig an ihren Pinseln, wenn sie die in Terpentin ausgespült hatte. Sie hatte das niemals irgendwem erzählt, es war ein heimliches Laster. Nach drei Versuchen war sie zufrieden mit ihrem Text. Er war kurz und schlicht, ohne Schnickschnack, er konnte durchaus von einem Mann geschrieben worden sein, fand sie, und sie freute sich über ihre eigene Tatkraft. Die war etwas Neues, eine neue Kraft, die sie vorwärts trieb, und das hatte sie lange nicht mehr erlebt, sie hatte sich dahin geschleppt und die Füße hinter sich hergezogen, nichts hatte sie angeschoben, nichts gezogen. Jetzt legte sie ein gutes Tempo vor. Das hätte Maja gefallen.
»BIETE EINEN GUTEN PREIS FÜR DEN WAGEN, FALLS SIE VERKAUFEN WOLLEN.«
Mehr nicht. Und dann eine Unterschrift. Dabei zögerte sie kurz, ihr eigener Name durfte nicht erwähnt werden, aber ein anderer fiel ihr nicht ein. Was sie auch versuchte, alle Namen sahen blöd aus. Schließlich ergab sich alles von selber. Sie gab einen echten Namen an, den er nun wirklich nicht kannte, und eine echte Telefonnummer, die nun wirklich nicht ihre war. Nach neunzehn Uhr. So, das war erledigt. Sie verzichtete auf Handtasche und Mantel, zog stattdessen eine alte Daunenjacke an und steckte den Zettel in die Tasche. Dann suchte sie sich ein Gummi und band sich einen Pferdeschwanz. Als sie sich im Flurspiegel musterte, sah sie einen fremden Menschen mitabstehenden Ohren. Sie sah aus wie eine zu groß geratene Göre. Das machte aber nichts, sie war nicht sonderlich eitel. Das Wichtigste war, daß sie nicht erkannt werden konnte. Schließlich ging sie in den Keller, suchte eine Weile bei der Hobelbank und fand in einer alten Angeltasche, die Jostein zurückgelassen hatte, ein Messer. Das Messer paßte gerade in eine der Oberschenkeltaschen ihrer Hose, es war lang und schmal. Nur eine kleine Sicherheitsmaßnahme einer einsamen Frau. Zur Abschreckung und Warnung, falls Egil Einarsson irgendwelchen Ärger machte.
Sie parkte ein gutes Stück vom Schwimmbad entfernt. Der Parkplatzwächter war nicht zu sehen, vermutlich mußte er auch noch andere Bereiche überwachen, dachte sie. Vielleicht schlich er in Personalgarderoben und Toiletten herum, vielleicht behielt er das Bier-und Mineralwasserlager im Auge. Sicher wurde dort geklaut, wie an allen Arbeitsplätzen. Eva überquerte die Straße und zwängte sich an der Schranke vorbei. Wieder staunte sie über die vielen weißen Autos, und sie suchte das von Einarsson automatisch an derselben Stelle wie beim ersten Mal, aber dort stand es nicht. Die beunruhigende Überlegung, daß er vielleicht an diesem Tag nicht zur Arbeit gekommen sei, daß er endlich einen Zusammenbruch erlitten habe oder sich verstecke, stellte sich ein und bedrohte ihre Gelassenheit. Aber sie suchte weiter die Reihen der parkenden Autos ab. Vielleicht wußte er schon von dem Taxifahrer und fühlte sich sicherer denn je. Ein Renault, wie war soviel Dummheit bloß möglich! Ab und zu schaute sie sich hastig um, konnte aber keinen Menschen entdecken. Schnell wie eine Spinne huschte sie auf den Parkplatz und fand schließlich den Opel. An diesem Tag stand er schräg im vorgezeichneten Feld, Einarsson schien es eilig gehabt zu haben. Das wird sich noch
Weitere Kostenlose Bücher