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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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das wirklich sein Sohn war, wie sie annahm. Die Zeugen Jehovas, trugen die Frauen da nicht immer Röcke? Und hatten sie nicht immer lange Haare, in Evas Jugend war das jedenfalls so gewesen. Oder waren das die Mormonen, oder war das dasselbe? Sie fuhr jetzt durch den Tunnel. Warf kurz im Rückspiegel einen Blick auf ihr ungeschminktes Gesicht, aber sie sah es nur in kurzen orangefarbenen Ausrissen, im Licht der Lampen unter der Tunneldecke, das sich in ihren Pupillen spiegelte. Sie erkannte sich selber nicht, umklammerte das Lenkrad und spürte, das unter ihrem schwarzen Mantel etwas schwelte. Sie hatte dieses Gefühl seit ihrer Kindheit mit Maja nicht mehr gehabt, unterwegs war ihre Leidenschaft verschwunden, in ihrer schwierigen Ehe, in den Haufen von unbezahlten Rechnungen, in ihrer Besorgnis über Emmas Übergewicht, in der Frustration über ihren Mißerfolg als Künstlerin. Es fing irgendwo in der Brust an, sank dann aber und landete in ihrem Unterleib. Das Gefühl machte sie lebendig, sie war davon überzeugt, jetzt in ihr Atelier gehen und ein ganz starkes Bild machen zu können, stärker denn je, angetrieben von gerechtem Zorn. Und das munterte sie auf. Ihr Puls wurde schneller, und das flammende orange Licht des Tunnels hielt das Feuer am Leben, bis sie die Innenstadt erreicht hatte. Dort wechselte sie auf die rechte Fahrspur über und fuhr in die Rosenkrantzgate.
    In der Nähe der bunten Häuser war kein Mensch zu sehen, und es war noch früh. Eva fuhr am grünen Haus vorbei und hielt hinter einem Fahrradschuppen am Rand der Siedlung. Sie hängte sich die Tasche über die Schulter und ging raschen Schrittes zwischen den Häusern hindurch; sie versuchte, zielstrebig und zufrieden auszusehen, so, als habe sie in ihrer umfangreichen Schultertasche eine frohe Botschaft. Dabei prägte sie sich die Details ein, die Fahrradständer, den kleinen Spielplatz mit Wippe und Sandkasten, die Wäschepfähle und die Hecken mit den Resten von gelben Blüten. Hier und dort lag auf den winzigen Grünflächen ein verfärbtes Plastikspielzeug herum. Eva steuerte auf das grüne Haus zu und ging zum ersten Eingang. Sie würde die Blonde wiedererkennen, dieses schmächtige Wesen mit der affigen Körpersprache. Eva starrte die Klingelleiste an, sie entschied sich für den obersten Knopf, neben dem Helland stand, aber sie mußte erst einmal Mut fassen. Sie versuchte, durch die Tür ins Haus zu sehen, aber das Türfenster war aus Drahtglas, und das machte die Durchsicht unmöglich. Sie konnte auch nichts hören, deshalb fuhr sie heftig zusammen, als sich die Tür plötzlich öffnete und ein Mann ihr ins Gesicht starrte. Es war nicht Elmer. In jedem Treppenhaus gab es nur zwei Wohnungen, deshalb nickte sie kurz und trat beiseite, um ihn vorbeizulassen. Er machte ein mißtrauisches Gesicht. Rasch sah sie wieder auf die Klingelleiste.
    »Helland?« fragte sie schnell.
    »Ja, das bin ich.«
    »Ach, dann habe ich Sie verwechselt, ich muß zu Einarsson.«
    Der Mann blickte sich noch einmal nach ihr um, dann verschwand er in der Garage, und Eva schlüpfte wie eine Diebin durch die Tür ins Haus. Das Namensschild war aus Porzellan, und es war auf ziemlich amateurhafte Weise bemalt, eine Mutter und ein Vater und ein Kind, und unter jeder Gestalt stand ein Name, Jorun, Egil und Jan Henry.
    Eva nickte langsam und schlich sich wieder aus dem Haus. Egil Einarsson, Rosenkrantzgate 16, dachte sie – ich weiß, wer du bist und was du getan hast. Und bald werde ich es dir erzählen.
    ---
    S ie war wieder zu Hause, und sie dachte scharf nach.
    Alle anderen Aufgaben wurden beiseite geschoben, alle Skrupel platzten wie kleine Blasen, wenn sie die Oberfläche ihres Bewußtseins erreichten, alles Entsetzen hatte sich in Tatkraft verwandelt. Vor ihrem inneren Auge sah sie den unseligen Busfahrer, vielleicht ein wenig zu dick, mit schütteren Haaren, so stellte sie ihn sich vor, jetzt saß er in irgendeinem Verhörzimmer, trank Pulverkaffee und rauchte so viele Zigaretten wie nötig, und das waren sicher viele. Bestimmt schmeckten sie ihm nicht mehr, aber immerhin waren seine Finger beschäftigt, wo sollte er sonst damit hin, wo er doch von allen Seiten von uniformierten Polizisten umgeben war, die seine Hände anstarrten, als habe er Maja mit eben diesen Händen umgebracht. Natürlich würden sie mit ihm eine DNA-Analyse durchführen, aber das würde einige Zeit dauern, vielleicht sogar Wochen, und auch wenn er an dem Abend nicht mit Maja geschlafen

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