Evas Auge
Mühe, diese Nachricht zu verdauen, er hatte jetzt wirklich nicht die Zeit, um sich genauer zu überlegen, was das für die Untersuchungsgefangene im fünften Stock bedeuten würde. Er schloß die Tür des Verhörszimmers auf, öffnete das Fenster und ließ frische Luft herein. Räumte ein wenig den Schreibtisch auf. Ging rasch zum Waschbecken und wusch sich die Hände, trank Wasser aus einem Pappbecher. Öffnete den Aktenschrank, nahm eine Kassette heraus, die dreihundertsechzig Minuten lief und Evas Magnus’ Aussage enthielt. Er steckte sie in den Rekorder auf dem Schreibtisch, einen ganz normalen Kassettenrekorder aus dem Kaufhaus und ließ sie zurücklaufen. Hielt sie ab und zu an, ließ sie dann weiterlaufen und fand schließlich die gesuchte Episode, worauf er auf Stop drückte und die Lautstärke regulierte. Dann setzte er sich hin und wartete. Er saß sehr bequem in seinem teuren Schreibtischsessel, und seine Gedanken schweiften umher. Vielleicht ist Ahron abgehauen, dachte er, und dann kann er mit seiner schweren Maschine schon weit gekommen sein. Aber das war nicht der Fall. Ahron saß mit der Zeitung in der Hand und einer Packung Tabak in Reichweite auf Joruns Sofa. Sie stand mitten im Zimmer am Bügelbrett und hatte einen Stapel Wäsche vor sich liegen. Sie blickte die beiden uniformierten Polizisten und den Mann auf dem Sofa unsicher an, und der Mann hob nur eine Augenbraue, wie um anzudeuten, daß ihm dieser Besuch doch sehr ungelegen komme. Er erhob sich resignierend vom Sofa und ging mit den Beamten aus dem Haus. Jan Henry sah ihnen nach, als sie zum Wagen gingen. Er sagte nichts. Ihm war es eigentlich egal, was mit Peddik passierte.
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» S ie heißen Peter Fredrik Ahron?«
»Ja.«
Ahron drehte sich eine Zigarette, ohne um Erlaubnis zu bitten.
»Geboren am 7. März 1956?«
»Warum fragen Sie mich das, wenn Sie das doch schon wissen?«
Sejer blickte auf. »An Ihrer Stelle würde ich den Mund nicht zu voll nehmen.«
»Wollen Sie mir drohen?«
Jetzt lächelte Sejer beruhigend. »Nicht doch, wir arbeiten hier nicht mit Drohungen. Wir warnen nur. Adresse?«
»Tollbugata 4. Geboren und aufgewachsen in Tromsø, jüngstes von vier Geschwistern, Wehrpflicht geleistet. Ich stehe ja gern zur Verfügung, aber ich habe wirklich alles gesagt, was ich zu sagen hatte.«
»Dann sagen Sie das alles noch einmal.«
Sejer schrieb unbeeindruckt weiter. Ahron rauchte wütend, fühlte sich aber weiterhin obenauf. Vorläufig war er obenauf. Er lehnte sich über den Schreibtisch und fragte mit resignierter Miene: »Nun sagen Sie mir doch einen einzigen guten Grund, warum ich meinen besten Kumpel umbringen sollte!«
Sejer ließ den Kugelschreiber sinken und sah Ahron verwundert an.
»Aber lieber Ahron, niemand glaubt doch, daß Sie das waren! Deshalb sind Sie nicht hier. Haben Sie geglaubt, wir hätten Sie deshalb kommen lassen?«
Er starrte Ahron an und sah in dessen blaßblauer Iris, daß in dem Mann langsam ein Verdacht aufkam.
»Das ist doch wirklich kein Wunder«, sagte Ahron langsam, »beim letzten Mal ging es doch auch um Egil.«
»Dann sind Sie aber wirklich auf dem Holzweg«, sagte Sejer. »Hier geht es um etwas ganz anderes.«
Schweigen. Der Rauch von Ahrons Zigarette stieg in dicken weißen Spiralen zur Decke hoch. Sejer wartete.
»Na? Wie steht’s mit Ihnen?«
»Gut. Wieso fragen Sie?«
Sejer verschränkte auf der Tischplatte die Arme und starrte Ahron weiterhin in die Augen. »Ich meine, wollen Sie nicht fragen, worum es geht? Wo es nun mal nicht um Einarsson geht?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung davon, worum es geht.«
»Nein, genau. Und deshalb dachte ich, Sie würden fragen. Das hätte ich gemacht«, sagte Sejer aufrichtig, »wenn ich zum Verhör geholt würde, während ich gerade die Sportseiten lese. Aber Sie sind vielleicht nicht von der neugierigen Sorte. Also werde ich Sie ein bißchen informieren. Nach und nach jedenfalls. Aber zuerst noch eine kleine Frage: Wie halten Sie es mit den Frauen, Ahron?«
»Da sollten Sie lieber die Frauen fragen«, sagte Ahron mürrisch.
»Ja, da haben Sie wohl recht. Wen soll ich denn fragen, was meinen Sie? Hatten Sie denn soviele?«
Ahron gab keine Antwort. Er brauchte seine ganze Kraft, um nicht die Fassung zu verlieren.
»Vielleicht sollte ich Marie Durban fragen? Wäre das eine gute Idee?«
»Sie haben einen ekelhaften Sinn für Humor.«
»Vielleicht. Sie hat ja nicht viel gesagt, als wir sie im Bett gefunden haben. Aber Sie hatte
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