Evas Auge
ich nicht wie eine Mörderin aussehe?«
»So sieht niemand aus.«
Er setzte sich wieder.
»Ich wollte ihn nicht umbringen. Ich habe das Messer mitgenommen, weil ich Angst hatte. Aber das wird mir niemand glauben.«
»Sie müssen uns eine Chance geben.«
»Es war Notwehr«, sagte sie. »Er hätte mich umgebracht. Das wissen Sie.«
Sejer schwieg. Für Eva hatte alles, was gesagt wurde, plötzlich einen ganz fremden Klang.
»Wie sah er aus, dieser Mann, der Sie die Kellertreppe hinuntergezogen hat?«
»Dunkel, ausländisch. Ein bißchen schmächtig, fast dünn, aber er hat Norwegisch gesprochen.«
»Hört sich an wie Cordoba.«
Eva fuhr zusammen: »Was sagen Sie da?«
»Er heißt Cordoba. Majas Mann. Jean Lucas Cordoba. Gar kein schlechter Name, finde ich.«
Eva lachte auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Doch«, keuchte sie, »man könnte fast heiraten, nur um sich diesen Namen zu sichern, nicht wahr?«
Sie wischte sich ein paar Tränen ab und zog an ihrer Zigarette.
»Maja hatte Besuch von allen möglichen Leuten. Auch von Polizisten, wußten Sie das schon?«
Sejer konnte nicht dagegen an, wider Willen lächelte er. »Naja, wir sind auch nicht anders als andere. Nicht besser und nicht schlechter. Aber nennen Sie bitte keine Namen.«
»Könnt ihr mich durch die Tür beobachten?« fragte Eva plötzlich.
»Ja, das können wir.«
Sie schniefte und starrte ihre Hände an. Kratzte sich mit einem scharfen Fingernagel Farbe von den Fingern.
Sie hatte nichts mehr zu sagen. Jetzt wartete sie auf ihn, jetzt sollte er alles in Ordnung bringen. Damit sie sich ausruhen und entspannen konnte und nur zu tun brauchte, was ihr gesagt wurde. Genau das wünschte sie sich jetzt nämlich.
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M arkus Larsgård kämpfte sich unter der Decke auf seinem Sofa hervor. Wenn das irgendwelche Bekannten waren, dann würden sie das Telefon noch oft klingeln lassen. Wenn das jemand war, der wußte, daß er alt und langsam war, daß das Telefon im Arbeitszimmer stand, und daß er auf seinen Beinen voller Wasser das ganze Wohnzimmer durchqueren mußte. Wenn es ein Fremder war, dann würde er nicht rechtzeitig das Telefon erreichen.
Aber bei Markus Larsgård riefen nicht viele Fremde an. Ab und zu jemand, der etwas verkaufen wollte oder der sich verwählt hatte. Ansonsten rief Eva an. Endlich saß er, und noch immer klingelte es, also war es jemand, den er kannte. Ächzend zog er sich an der Tischplatte hoch und packte seinen Stock. Wackelte los und dankte seinem Schicksal, daß sich überhaupt jemand die Mühe machte, anzurufen und ihn mitten in seinem Vormittagsschläfchen zu stören. Er humpelte durch das Zimmer, versuchte, den Stock an den Schreibtisch zu lehnen, schaffte das aber nicht. Der Stock fiel zu Boden. Ein wenig überrascht hörte Larsgård am anderen Ende der Leitung eine fremde Stimme. Ein Anwalt. Es gehe um Eva Marie, sagte der. Ob Larsgård zur Wache kommen könne. Untersuchungshaft.
Larsgård tastete nach dem Stuhl und mußte sich setzen. Vielleicht sollte das ein Witz sein, vielleicht war das ein Telefonterrorist, der ihn quälen wollte, er hatte schon in der Zeitung über solche Fälle gelesen. Aber der Mann hörte sich nicht so an, er klang gebildet und fast freundlich. Larsgård hörte zu und gab sich alle Mühe, fragte noch einmal nach, versuchte, zu verstehen, was der Mann ihm da sagen wollte, schaffte das aber nicht. Es war natürlich ein Mißverständnis, und alles würde sich klären. Aber für die arme Eva war es doch ein entsetzliches Erlebnis, eine schreckliche Geschichte. Untersuchungshaft? Er würde sich sofort auf den Weg machen. Sich ein Taxi rufen.
»Nein, wir schicken einen Wagen, bleiben Sie nur so lange ruhig sitzen.«
Larsgård wartete. Er vergaß, den Hörer aufzulegen. Er müßte seinen Mantel finden, ehe der Wagen eintraf, aber im Grunde spielte das keine Rolle. Ob er fror oder nicht. Sie hatten Eva festgenommen und eingesperrt. Vielleicht sollte er lieber etwas für sie suchen, vielleicht saß sie in einer kalten Zelle. Dann versuchte er, sich im Zimmer zu orientieren und sich zu erinnern, wo er seine Sachen aufbewahrte. Die Haushaltshilfe räumte immer auf. Vielleicht sollte er eine Flasche Rotwein mitnehmen. Aber das war vielleicht nicht erlaubt. Und was war mit Geld? In seinem Einmachglas hatte er viel Geld, es schien nie ein Ende zu nehmen, sondern sich viel eher zu vermehren. Er gab auch diesen Gedanken auf, sicher gab es im Gericht überhaupt keinen Kiosk, er war ja einmal
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