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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gleichmäßige Dröhnen des Motors und das Rauschen überholender Fahrzeuge. Der Junge hatte die Finger zwischen die Beine geklemmt, als fürchte er, aus purer Unachtsamkeit etwas anzufassen.
    »Fehlt dir dein Vater, Jan Henry?« fragte Sejer leise.
    Der Junge starrte ihn überrascht an, als sei zum allerersten Mal jemand auf die Idee gekommen, ihm diese Frage zu stellen. Die Antwort war einleuchtend.
    »Sehr«, sagte er einfach.
    Wieder schwiegen sie. Sejer hielt auf die Spinnerei zu, blinkte rechts und fuhr dann zum Wasserfall hoch.
    »In der Garage ist es so still«, sagte der Junge plötzlich.
    »Ja. Schade, daß deine Mutter nichts von Autos versteht.«
    »Mm. Papa hat immer an dem Auto gearbeitet. Wenn er frei hatte.«
    »Und es riecht auch so gut«, Sejer lächelte. »Nach Öl und Benzin und so.«
    »Er hat mir einen Overall versprochen«, erzählte Jan Henry. »So einen, wie er hatte. Aber dann ist er ja verschwunden. Der Overall hatte vierzehn Taschen. Ich wollte meinen anziehen, wenn ich mein Fahrrad repariere. Schmieranzug heißen die.«
    »Ja, das stimmt. Ich habe auch einen, aber der ist blau, und auf dem Rücken steht FINA. Aber ich weiß nicht, ob er vierzehn Taschen hat. Acht oder zehn vielleicht.«
    »Die blauen sind auch schön. Ob es die wohl auch in Kindergrößen gibt?« überlegte Jan Henry.
    »Das weiß ich nicht, aber ich werde mich ganz bestimmt erkundigen.«
    Sejer versuchte, sich das einzuprägen, blinkte wieder rechts und hielt an. Sie konnten die Gebäude des Norwegischen Rundfunks sehen, die ziemlich idyllisch am Fluß gelegen waren. Er zeigte auf eines der Fenster, die in der Sonne funkelten.
    »Wollen wir sie ein bißchen hochnehmen? Mit dem Martinshorn?«
    Jan Henry nickte.
    »Hier drücken«, Sejer zeigte auf den entsprechenden Hebel. »Dann werden wir ja sehen, ob die da unten scharf auf Neuigkeiten sind. Vielleicht kommen sie mit all ihren Mikrophonen angewetzt!«
    Das Martinshorn ließ zuerst ein leises Plopp vernehmen, dann heulte es energisch in der Stille auf, hallte am Hang gegenüber wider und wurde heulend zurückgeworfen. Im Auto klang es nicht so schlimm, aber als die hundert Dezibel eine Weile zu hören gewesen waren, tauchte in einem der glitzernden Fenster das erste Gesicht auf. Dann noch eins. Dann öffnete jemand eine Tür und trat auf die Veranda hinter dem Gebäude. Sie konnten sehen, daß er die Hand hob, um seine Augen vor dem grellen Licht zu schützen.
    »Die glauben bestimmt, daß das mindestens ein Mord ist!« rief der Junge.
    Sejer schmunzelte und musterte die frühlingsbleichen Gesichter, die zu ihnen heraufsahen.
    »So, das reicht. Versuch’ mal, ob du es auch wieder ausschalten kannst.«
    Das schaffte Jan Henry. Seine Augen strahlten vor Begeisterung, seine Wangen waren rotgefleckt.
    »Wie funktioniert das denn?« fragte er aufgeregt.
    »Naja«, sagte Sejer und durchwühlte seine Erinnerungen, »das ist so, zuerst macht man einen elektronischen Schwingkreis, der dann einen Viereckspuls bildet, und das wird durch einen Verstärker verstärkt und durch den Lautsprecher gejagt.«
    Jan Henry nickte.
    »Und dann variiert es zwischen achthundert und sechzehnhundert Perioden. Also, die Stärke schwingt, damit du es besser hören kannst.«
    »In der Martinshornfabrik?«
    »Genau. In der Martinshornfabrik. In Amerika oder Spanien. Aber jetzt kaufen wir uns ein Eis, Jan Henry.«
    »Ja. Das haben wir verdient, auch, wenn wir keine Schurken gefangen haben.«
    Sie fuhren wieder auf die Hauptstraße und bogen links in Richtung Stadt ab. Bei der Trabrennbahn hielt Sejer an, stieg aus und schob den Jungen vor sich her zum Kiosk. Danach mußte er ihm mit dem Papier helfen, das am Eis festklebte. Sie setzten sich auf eine Bank in der Sonne und leckten und schmatzten. Der Junge hatte sich ein Safteis ausgesucht, rot und gelb und oben mit Schokolade, Sejer dagegen aß ein Erdbeereis, wie immer. Er sah keinen Grund, diese Gewohnheit zu ändern.
    »Müssen Sie jetzt wieder zur Arbeit?«
    Jan Henry wischte sich mit der freien Hand Saft und Zucker vom Kinn.
    »Ja, aber zuerst muß ich jemanden besuchen. In der Erik Børresens gate.«
    »Ist das ein Schurke?«
    »Ach nein«, Sejer lächelte. »Wahrscheinlich nicht.«
    »Aber Sie sind nicht ganz sicher? Vielleicht kann der ja doch ein Schurke sein!«
    Sejer mußte sich geschlagen geben. Er lächelte.
    »Ja, doch, vielleicht. Deshalb fahre ich ja auch hin. Aber ich wäre genauso zufrieden, wenn ich wüßte, daß er kein Schurke

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