Evas Auge
sie genug hat.«
»Dann kannst du schon morgen anfangen. Nur versuchsweise, natürlich. Ich helfe dir am Anfang, du mußt über ein paar Kleinigkeiten Bescheid wissen. Ich schicke dir ein Taxi, sagen wir, um sechs? Morgen abend? Kleider und sowas besorge ich.«
»Kleider?«
»In den Klamotten kannst du hier nicht ankommen. Du mußt schon entschuldigen, aber du ziehst dich wirklich nicht gerade sexy an.«
»Und warum sollte ich sexy angezogen herumlaufen?«
Maja setzte sich auf und starrte Eva verwundert an.
»Du bist doch wohl nicht ganz anders als andere Frauen. Du wünschst dir doch wohl auch einen Mann, oder etwa nicht?«
»Doch«, sagte Eva müde, »wahrscheinlich.«
»Also mußt du aufhören, dich wie der Schwarze Tod zu kleiden.«
»Du machst wirklich reizende Komplimente.«
»Eigentlich bin ich neidisch. Du bist elegant, ich bin nur eine fette Frau mit Wülsten und Doppelkinn.«
»Nein, du bist ein munteres molliges Mädchen mit Appetit aufs Leben. Hast du Selbstachtung?« fragte Eva plötzlich.
»Ungefähr doppelt soviel wie du, möchte ich meinen.«
»Ich frag’ ja nur.«
»Ich sehe es schon vor mir. Die Nachricht von der langbeinigen Künstlerin wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Vielleicht stiehlst du mir die Kunden, vielleicht verschenke ich hier gerade meine ganze Existenzgrundlage.«
»Wenn du fast zwei Millionen hast, dann tust du mir wirklich nicht leid.«
Eva fuhr auf Majas Kosten mit einem Taxi nach Hause. Gleichzeitig bestellte sie für den nächsten Abend um sechs einen Wagen. Sie hatte Probleme mit dem Schlüssel, stolperte dann in ihr Atelier und musterte ihre Bilder mit kritischem Blick. Weil sie ziemlich blau war, war sie zutiefst beeindruckt, und sie legte sich zufrieden aufs Sofa und schlief in ihren Kleidern ein.
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I m Aufwachen, eine Sekunde, ehe der Kater einsetzte, konnte sie sich an ihren Traum erinnern. Sie hatte von Maja geträumt. Erst, als sie die Augen aufmachte, sah sie alles wieder klar, und sie fuhr erschrocken hoch. Zu ihrer großen Verwunderung stellte sie fest, daß sie vollständig angezogen im Atelier geschlafen hatte.
Sie schwankte ins Badezimmer und näherte sich mit einer gewissen Besorgnis dem Spiegel. Ihre Wimperntusche war wasserfest, sie war nicht verlaufen, aber die Wimpern ragten um ihre roten Augen wie versengte Strohhalme auf. Die Poren ihrer Haut waren groß wie dicke Mitesser. Eva stöhnte bei diesem Anblick und drehte das kalte Wasser auf. Worüber hatten sie noch gesprochen? Langsam kam die Erinnerung, und ihr Herz schlug rascher, je besser sie sich an das Gespräch erinnerte. Maja, die Maja ihrer Kindheit, ihre allerbeste Freundin, die sie seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen hatte, arbeitete als Nutte. Als reiche Nutte, dachte Eva entsetzt, und sie erinnerte sich vage daran, wie sie ihre eigenen Aussichten diskutiert hatten, sich aus ihrem finanziellen Engpaß zu befreien. Es war nicht zu glauben! Daß sie diese Möglichkeit überhaupt nur in Betracht gezogen hatte! Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und stöhnte, öffnete den Medizinschrank und fand eine Packung Aspirin. Sie spülte mit Wasser eine Handvoll Tabletten herunter und streifte Rock und T-Shirt ab. Vielleicht habe ich ein Bier im Kühlschrank, überlegte sie. Sie fühlte sich viel zu elend zum Arbeiten, und sie würde auch heute wieder nicht weiterkommen. Sie duschte und schrubbte sich, so lange sie es ertragen konnte, merkte nach einer Weile, daß die Tabletten wirkten, und hüllte sich in ihren Bademantel. Der war schwarz, auf dem Rücken hatte er chinesische Drachen. Dann ging sie ins Wohnzimmer und suchte nach ihrer Handtasche, in der die Zigaretten steckten. Sie öffnete die Tasche und starrte ein Bündel Geldscheine an. Einen Moment lang sah sie die verdutzt an, dann fiel ihr alles wieder ein. Sie zählte. Zehntausend Kronen. Genug, um alle Rechnungen in der Schublade zu bezahlen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, dann ging sie ins Atelier und starrte wieder die Bilder an. Eines lehnte gesondert an der Wand, wann hatte sie es hervorgezogen?
Aber es gehörte vielleicht zu den besten, die sie hatte. Ein fast ganz schwarzes Bild mit einem stark leuchtenden Streifen, der sich quer über die Leinwand zog. Als sei das Bild an der Stelle zerrissen. Sie mußte lächeln, als sie sich Majas Gesichtvorstellte, wenn sie ihr dieses Bild anbrachte. Dann suchte sie weiter in ihrer Handtasche, fand eine Zigarettenschachtel mit einer einzigen Zigarette, zündete
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