Evas Auge
begreife nicht, wie sie das über sich brachte, oder daß das überhaupt jemand tun mag.«
»Sie sind vielleicht die letzte, die Frau Durban noch lebend gesehen hat. Der Mann, der um acht Uhr kommen sollte, kann der Mörder gewesen sein.«
»Ach?« Eva keuchte auf, als schaudere ihr bei diesem Gedanken.
»Ist Ihnen auf der Straße jemand begegnet?«
»Nein.«
»Welchen Weg sind Sie gegangen?«
Die Wahrheit sagen, überlegte sie, solange das geht.
»Nach links. Vorbei an der Tankstelle und der Versicherung. Am Fluß entlang und über die Brücke.«
»Das ist doch ein Umweg?«
»Ich wollte nicht an der Kneipe vorbeigehen.«
»Warum nicht?«
»Da lungern abends immer so viele Betrunkene herum.«
Das war wirklich die lauterste Wahrheit. Sie mochte einfach nicht an großen Gruppen von besoffenen Mannsbildern vorbeigehen.
»Na gut.«
Er betrachtete das Pflaster auf ihrer Hand.
»Hat Frau Durban sie zur Tür gebracht?«
»Nein.«
»Hat sie hinter Ihnen die Tür abgeschlossen?«
»Ich glaube nicht. Aber ich habe nicht darauf geachtet.«
»Und im Treppenhaus oder auf der Straße ist Ihnen niemand begegnet?«
»Nein. Niemand.«
»Wissen Sie, ob in der Straße Autos standen?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Na gut. Dann sind Sie über die Brücke gegangen – und dann?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wohin sind Sie dann gegangen?«
»Ich bin nach Hause gegangen.«
»Sie sind nach Hause gegangen? Von der Tordenskioldsgate bis nach Engelstad?«
»Ja.«
»Das ist ganz schön weit, oder nicht?«
»Das schon. Doch, aber ich wollte gehen. Ich hatte so viel zum Nachdenken.«
»Und worüber haben Sie so sehr nachdenken müssen, daß Sie einen so langen Spaziergang brauchten?«
»Naja, die Sache mit Maja und so«, murmelte sie. »Daß sie so geworden war. Vor vielen Jahren haben wir uns so gut gekannt, ich konnte es nicht fassen. Ich hatte geglaubt, sie zu kennen«, sagte Eva verwundert, wie zu sich selber.
Sie drückte ihre Zigarette aus und schob sich die Haare auf den Rücken.
»Am Mittwochmittag ist Maja Durban Ihnen also seit fünfundzwanzig Jahren zum erstenmal begegnet?«
»Ja.«
»Und gestern haben Sie zwischen sechs und sieben Uhr abends bei ihr vorbeigeschaut?«
»Ja.«
»Und das ist alles?«
»Ja. So ist es, das ist alles.«
»Und Sie haben nichts vergessen?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
Er erhob sich vom Sofa und nickte noch einmal, nahm sein Feuerzeug, das jetzt Evas Fingerabdrücke aufwies, und ließ es in seine Brusttasche gleiten.
»Hatten Sie den Eindruck, daß Frau Durban aus irgendeinemGrund nervös war?«
»Nein, überhaupt nicht. Maja war ganz obenauf, so wie immer. Hatte alles unter Kontrolle.«
»Und im Laufe Ihres Gesprächs ist kein Wort gefallen, das darauf hinweisen könnte, daß jemand hinter ihr her war? Oder daß es mit irgendwem einen Konflikt gab?«
»Nein. Überhaupt nicht.«
»Hat jemand angerufen, während Sie bei ihr waren?«
»Nein.«
»Dann will ich Sie nicht länger stören. Bitte, rufen Sie an, wenn Ihnen etwas einfällt, das vielleicht von Bedeutung sein kann. Egal, was.«
»Ja!«
»Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Telefon sofort wieder geöffnet wird.«
»Was?«
»Ich habe versucht, Sie anzurufen. Und bei der Störungsstelle hieß es, Sie hätten die Rechnung nicht bezahlt.«
»Ach so. Vielen Dank.«
»Falls wir noch mit Ihnen sprechen müssen.«
Sie biß sich verwirrt auf die Lippe.
»Äh«, sagte Sie plötzlich. »Woher haben Sie gewußt, daß ich bei Maja war?«
Er schob die Hand in die Jackentasche und zog ein Büchlein mit rotem Ledereinband hervor.
»Majas Terminkalender. Hier steht, am 30. September: Beim Einkaufen Eva getroffen. Mit ihr im Hannas gegessen. Und ganz hinten standen Ihr Name und Ihre Adresse.«
Wie einfach, dachte Eva.
»Bleiben Sie nur sitzen«, sagte Sejer. »Ich finde schon hinaus.« Eva ließ sich wieder in den Sessel fallen. Sie war restlos erschöpft, sie faltete so hart auf ihrem Schoß die Hände, daß ihre Wunde wieder zu bluten begann. Sejer ging durch das Zimmer und blieb plötzlich vor einem ihrer Bilder stehen. Er legte den Kopf schräg und drehte sich wieder um.
»Was soll das darstellen?«
Eva wand sich.
»Ich erkläre meine Bilder eigentlich nie.«
»Nein, das kann ich verstehen. Aber das hier«, er zeigte auf einen Turm, der aus der Dunkelheit aufragte, »das erinnert mich an eine Kirche. Und das, dieses kleine Graue im Hintergrund, das könnte ein Grabstein sein. Oben ein bißchen gerundet.
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