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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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Hirsch aussah, das Geweih deutete er mit einem X an.
    »Wenn sie fünfzehn sind, werden die älteren Jungen Jäger«, erklärte Benny.
    »Dein Bruder war also fünfzehn«, stellte ich fest. Wegen der ganzen Kinderbücher hatte ich angenommen, dass Paul noch ein Kind gewesen war. Aber wahrscheinlich hatte er einfach mit dem Leichtesten angefangen, was er finden konnte. »Und er hat sich das Lesen selbst beigebracht?«
    Benny nickte. »Kannst du lesen?«, fragte er.
    »Ja, kann ich«, erwiderte ich.
    »Bringst du es mir bei?«
    »Ja«, antwortete ich. »Das werde ich.«
    Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt hatte, lächelte Benny und man sah, dass ihm ein Schneidezahn fehlte. Einer plötzlichen Eingebung folgend nahm ich Silas’ Stock und kniete mich auf die Erde. Ohne nachzudenken, kratzte ich das Wort in den harten Boden. Anschließend unterstrich ich es mit einer schnellen Bewegung. »Weißt du, was das heißt?«, fragte ich.
    Silas starrte auf die Buchstaben und dann wieder zu mir, als überrasche es ihn, dass meine Hand diese Zeichen geschrieben hatte. Er schüttelte den Kopf.
    »Das ist dein Name«, erklärte ich und deutete nacheinander auf jeden einzelnen. »S-I-L-A-S.« Dann kritzelte ich ein weiteres Wort darunter. »Und so wird Benny buchstabiert.«
    Benny lächelte. Sein einsamer Schneidezahn stand schief hervor.
    Silas starrte mich an, sein Mund formte ein kleines O. »Silas«, wiederholte er und presste die Finger auf den Boden.
    Als ich den Stock hinlegte, überkam mich plötzlich ein Glücksgefühl. »Wartet hier, nur einen Moment«, bat ich sie, denn mir fielen die ganzen Bücher ein, die ungelesen auf Pauls ehemaligem Schreibtisch lagen. »Ich komme gleich wieder.«
     
    Benny stand vor einer Lehmwand und kratzte die Buchstaben mit einem Stock hinein. »Ja, genau so«, lobte ich, während die anderen Jungen im Raum schweigend zusahen. Er vollendete das Y und trat einen Schritt zurück, während er das Wort noch mal laut buchstabierte.
    »Benny«, las er dann vor und sein Gesicht verzog sich zu einem zahnlosen Grinsen.
    »Sehr gut«, sagte ich und nahm den Stapel Kinderbücher vom Tisch. Was damit begonnen hatte, dass zwei kleine Jungen ihren Namen in den Boden kratzten, hatte sich weiterentwickelt, als ein paar der älteren Jungen die Köpfe in das Zimmer gesteckt und sich einfach niedergelassen hatten.
    »Kommt, wir lesen ein Buch«, schlug ich vor und nahm eines von dem Stapel. Als ich die Bücher geholt hatte, stellte ich mit Freude fest, dass ich ein paar davon aus der Schule kannte. »Es war einmal ein Baum«, las ich und zeigte die Seiten herum, damit alle sie betrachten konnten, »und der liebte einen kleinen Jungen. Und jeden Tag kam der Junge –« Ich hielt inne. Silas hatte die Hand gehoben. Das war das Allererste gewesen, was ich ihnen beigebracht hatte, denn zu Beginn der Lektion hatten alle versucht, sich gegenseitig zu überbrüllen.
    »Was meinst du damit, dass er ihn lieb gehabt hat? Was ist das?«, wollte er wissen.
    Kevin, der Junge mit der kaputten Brille, seufzte genervt auf. »Es bedeutet, dass er ein Mädchen küssen will. So lief das vor der Seuche.« Er lächelte mir zu, es war ein verlegenes Lächeln mit geröteten Wangen.
    »Ein Mädchen küssen?«, fragte Silas ungläubig.
    Huxley wurde munter. »Nein, das ist es nicht. Hier geht es um einen Baum. Der Baum küsst den Jungen nicht.«
    »Worüber redet ihr eigentlich?«, erkundigte sich Silas mit verwirrter Miene.
    »Man kann alles Mögliche lieben«, unterbrach ich und betrachtete die Gruppe. »Liebe ist einfach …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »… wenn einem jemand sehr viel bedeutet. Wenn man spürt, dass diese Person wichtig für einen ist, dass die eigene Welt ohne diesen Menschen trauriger wäre.« Ich dachte an Pips Lachanfälle oder wie wir sonntagmorgens, während wir darauf warteten, dass wir duschen durften, mit Ruby von Bett zu Bett gesprungen waren.
    Nach einer langen Pause sah Benny auf. »Ich habe meinen Bruder lieb gehabt«, sagte er.
    »Ich habe meine Mutter lieb gehabt«, fügte ein Fünfzehnjähriger namens Michael hinzu.
    »Ich habe meine Mutter auch lieb gehabt«, sagte ich. »Ich hab sie immer noch lieb. Das ist es ja – die Liebe vergeht nicht, selbst wenn die Person nicht mehr da ist.« Ich wartete einen Moment, dann schlug ich das Buch wieder auf. »Und jeden Tag kam der Junge und sammelte die Blätter des Baumes auf und bastelte sich Kronen daraus –«
    »Kevin! Michael! Aaron!

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