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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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dasselbe Verlangen, das mich so oft in der Schule übermannt hatte. Die Schulleiterin hatte es einmal als »Wissensdurst« bezeichnet.
    Ich trat in die sechste Türöffnung und da war er, in seinem zerknitterten Hemd und den zerrissenen Shorts. Seine Beine hingen über der Lehne eines tiefen Polstersessels, sein Kopf über der anderen.
    »Caleb?«, fragte ich. »Schläfst du?«
    Er zuckte zusammen und sah sich hastig um, als müsse er sich in Erinnerung rufen, wo er war. Dann rieb er sich das Gesicht, strich die Haare zurück und lächelte.
    »Willkommen in meiner bescheidenen Hütte.« Er deutete auf die Matratze auf dem Boden, auf der kein Bettlaken, sondern nur eine Steppdecke lag, die an den Nähten Federn verlor. Auf dem Tisch daneben standen ein Funkgerät aus Metall und ein Sprechgerät, wie ich sie aus der Schule kannte. An der Wand waren Karten befestigt, deren Ecken sich aufgrund der Feuchtigkeit rollten.
    »Was machst du mit den ganzen Büchern?«, erkundigte ich mich und ging auf den hohen Stapel zu, der auf dem Boden lag. Ich fuhr mit den Fingern über die Buchrücken und erkannte ein paar bekannte Titel aus der Schule: Herz der Finsternis, Der große Gatsby und Die Fahrt zum Leuchtturm.
    Als Caleb sich neben mich stellte, streifte seine warme Schulter meine. »Manchmal mache ich komische Sachen«, erklärte er und grinste mich schelmisch an. »Ich schlage ein Buch auf und schau mir jede Seite an. Man nennt das Lesen.«
    »Ich weiß, was Lesen ist!« Ich lachte. Hitze breitete sich auf meinem Hals und meinem Gesicht aus und setzte sich in meinen Wangen fest. Ich fuhr mit den Fingern durch meine Haare. Seit der Schule hatte ich keinen Spiegel mehr gesehen. »Aber warum kannst du lesen? Benny meinte, dass niemand das hier lernt.«
    »Ah, du hast Benny getroffen?«, fragte Caleb. Seine Augen musterten forschend mein Gesicht und wanderten zu meinen Lippen und Augenbrauen und Wangen.
    Ich nickte. »Heute Morgen. Und auch noch Silas und ein paar andere Jungen. Silas hat sich als das kleine Mädchen herausgestellt, das ich zu sehen geglaubt habe. Er trug dieses Tutu.«
    Caleb lachte. »Er hat dieses Ding in einer Kiste gefunden, die wir in einem Lagerhaus erbeutet haben. Leif und ein paar ältere Jungen wussten, was es ist, aber wie sollten wir es ihm erklären? Er fährt total darauf ab.«
    Ich lächelte, plötzlich spürte ich jeden Nerv in meinem Körper. Ich nahm Herz der Finsternis hoch und war froh über das Gewicht des Buchs in meinen Händen, das meinen zitternden Fingern etwas zum Festhalten gab. »Ich habe angefangen, ihnen das Lesen beizubringen. Habt ihr sie nie das Alphabet gelehrt? Ihre Namen?«
    »Ich kam mit sieben in das Arbeitslager, ich habe vor der Epidemie also schon ein bisschen was gelernt. Meine Mutter hat mir ein paar grundlegende Sachen beigebracht, bevor sie gestorben ist – kurze Wörter und wie man sie ausspricht. Und danach, hier, habe ich nachts gelesen, als eine Art …« Er starrte an die Decke. Die Stoppeln auf seinem Gesicht waren dichter und bildeten dunkle Schatten auf seinem Kinn und Hals. »… vermutlich als eine Art Flucht. Es stand nie zur Diskussion, die Jungen zu unterrichten, vor allem nicht, wenn Leif hier im Camp ist. Wir Ältesten müssen jagen, fischen, das Land auskundschaften und Ausschau nach den Truppen in der Gegend halten – rund um die Uhr, jeden Tag. Nahrung brauchen die Jungen dringender als Bücher. Leider.« Er seufzte und sah mir in die Augen. »Aber ich bin froh, dass du sie unterrichtest.«
    Er hielt meinem Blick stand, bis ich schließlich wegsah. »Hast du das alles gelesen?« Ich sah auf Anna Karenina und Unterwegs, die seltsam eingequetscht wirkten zwischen Kunst für Dummies und Alles übers Schwimmen.
    »Jedes Wort.« Caleb lachte. »Offenbar bin ich doch kein Neandertaler, was?«
    Calebs langes, zerknautschtes graues Hemd war nicht zugeknöpft und von Zeit zu Zeit sah man ein Stück seiner braunen Brust. »Hab ich das etwa behauptet?«
    »Brauchtest du nicht«, erwiderte er.
    Ich lief durchs Zimmer zu einem anderen Stapel und Caleb folgte mir Schritt um Schritt, es war wie bei einem Tanz. »Ich hab mich getäuscht«, räumte ich ein. Als ich so dicht neben ihm stand, konnte ich die braunen Sprenkel in seinen blassgrünen Augen erkennen.
    Caleb lief lachend um mich herum, als wäre ich irgendein putziges Geschöpf, das er im Unterholz aufgespürt hatte. »Ach wirklich?«, lautete sein einziger Kommentar.
    »Ach, das da …« Ich nahm Die

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