Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
eine Blutlache und selbst im Halbdunkel konnte ich sehen, dass seine Lippe aufgeplatzt war.
»Sie hat mich angemacht.« Beim Sprechen spuckte er Blut auf den Boden. »Was glaubst du, warum sie vorhin mit mir zusammensaß? Was glaubst du, warum sie mit mir geredet hat? Sie hatte Lust auf mich. Auf mich – nicht auf dich.« In die Überzeugung in seiner Stimme mischte sich Wut. Ich ließ mich gegen die Wand sinken, selbst jetzt, da sein Körper kraftlos auf dem Boden lag, hatte ich Angst.
Caleb wandte sich zu mir, man sah ihm seine Verwirrung an. »Stimmt das?«
Meine Hände zitterten heftig und mir liefen Tränen übers Gesicht. Was Leif getan hatte, war nicht richtig. Und trotzdem … Ich hatte auf der Klavierbank neben ihm gesessen und für ihn gespielt. Ich hatte zugelassen, dass sich unsere Schultern berührten, als er von seiner Familie erzählte. Und ich hatte zugelassen, dass er meine Hand drückte. War das eine unausgesprochene Einladung gewesen? Hatte er meine Freundlichkeit missverstanden?
»Ich weiß nicht«, antwortete ich mit vorgehaltener Hand.
»Du weißt es nicht?«, fragte Caleb. Er umklammerte Leifs Arm noch fester und drückte ihn hart auf den Boden. Er starrte mich finster an, die Leichtigkeit, die ich an seinem Gesicht so geliebt hatte, war verschwunden. Ich wollte, dass er aufhörte, den Blick abwandte und mir einen Moment zum Nachdenken gab.
Doch er starrte mich bloß an und wartete auf eine Antwort. Ich begann zu schluchzen, mein Oberkörper wurde von tränenreichen Krämpfen geschüttelt.
»Eve! Was ist passiert? Alles in Ordnung mit dir?« Arden drängte die Jungen beiseite und kam auf mich zu. Sie half mir auf und besah sich den kleinen Riss in meinem Pullover. »Ich habe den Krach gehört und –«, als sie Calebs Gesichtsausdruck bemerkte, redete sie nicht weiter. Er drehte den Kopf hin und her, es war zwar eine kaum wahrnehmbare Bewegung, trotzdem war es ein stetiges, unmissverständliches Nein.
Er stand auf und ließ Leif in der dunklen Blutlache auf dem Boden liegen. Dann drängte er sich an Michael und Aaron vorbei und lief, ohne sich umzudrehen, die Treppe hinunter.
»Caleb!«, rief ich ihm hinterher, seine plötzliche Abwesenheit holte mich in die Wirklichkeit zurück. Die Jungen traten zur Seite und ich rannte ihm durch die Tür hinterher, doch als ich am Fuß der Treppe ankam, war da nur noch abgestandene Luft und der knisternde Abfall unter meinen Füßen. Das übrige Lagerhaus war dunkel, ich tastete nach der Eingangstür. »Caleb!«, rief ich noch einmal.
Schließlich sah ich durch die Haustür den mondhellen Wald. Dort draußen sprang Caleb auf sein Pferd, eine schwarze Gestalt unter dem sternenübersäten Himmel.
»Geh nicht! Bitte!«, schrie ich und rannte aus dem Haus. Doch er zog bereits an den Zügeln und wendete das Pferd.
Ich blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete ihn. Ich merkte nicht, dass Arden sich neben mich stellte. Ich hörte die Stimmen von Kevin und Michael nicht, die aus dem Fenster im Obergeschoss riefen und ihn baten zurückzukommen.
Ich fühlte nur Traurigkeit, als er durch den Wald ritt und am Horizont immer kleiner wurde, bis ihn die Nacht schließlich vollständig verschluckte.
ZWEIUNDZWANZIG
»Wir sollten gehen«, flüsterte Arden. Sie saß in unserem höhlenartigen Zimmer aus Lehm. »Und zur Straße nach Califia zurückkehren. Hier sind wir nicht mehr sicher.«
Wir hatten das Lagerhaus vor Tagesanbruch verlassen. Die Pferde waren mit Säcken voller Süßigkeiten, Laternen, Decken und Kondensmilch beladen. Leifs Anwesenheit bedeutete eine ständige Bedrohung, um seinen Kopf war nach dem Vorfall letzte Nacht ein Verband gewickelt. Bei dem Gedanken, wie sich seine Lippen auf meine gepresst hatten, bei der Erinnerung an seinen biersauren Atem schüttelte es mich. Immer wieder sah ich sein Gesicht im Schein der Taschenlampe vor mir, die zusammengekniffenen Augen, sein Körper ein herabstürzender Felsbrocken, der mich unter seinem Gewicht zermalmte.
Als wir zum Höhlencamp zurückkamen, war Calebs Zimmer unverändert. Die zerlesenen Bücher lagen auf Stapeln. Über das Bett war eine dünne rote Decke gebreitet und der Sessel stand noch immer in der Ecke. An der Stelle, wo er gesessen hatte, war ein Abdruck im Polster.
»Wir können nicht einfach gehen«, wandte ich ein und lehnte mich mit dem Rücken gegen die kalte Lehmwand. Ein Teil von mir klammerte sich an die Vorstellung, hier zu leben, noch band mich etwas an diesen Ort.
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