Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
»Zumindest nicht, bevor Caleb zurückkommt.«
Arden fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und versuchte, die verfilzten schwarzen Spitzen zu entwirren. »Es gefällt mir nicht, wie Leif uns angesehen hat.« Die letzte Nacht hatte verquollene Halbmonde unter ihren Augen hinterlassen. Sie war lange aufgeblieben und hatte, nachdem sie die Tür mit einem quer gestellten Regal verbarrikadiert hatte, Wache gehalten, bis ich endlich eingeschlafen war.
»Ich kann nicht einfach so gehen.« Meine Gedanken kehrten immer wieder zum großen Lagerraum des Hauses zurück, wo ich Calebs Arm weggestoßen hatte. Wir hatten nicht wirklich sachlich miteinander geredet; ich war viel zu durcheinander gewesen, um einen klaren Gedanken zu fassen. Dann hatte plötzlich Leif neben mir gesessen, mit den Fingern auf das Holz des Klaviers getrommelt und meine Freundlichkeit als Einladung missverstanden. Ich hätte alles gegeben, jene fatalen drei Worte nicht ausgesprochen zu haben – Ich weiß nicht.
Eigentlich wusste ich es genau, aber ich konnte all die dunklen Gefühle, die ich in der letzten Nacht durchlebt hatte, nicht erklären. Da alles so schnell auf mich eingestürmt war, hatte ich keine Zeit gehabt, jedes Gefühl einzeln zu betrachten, darüber nachzudenken und einzuschätzen, was es bedeutete.
Doch jetzt mit Arden in der Höhle wusste ich eines ganz sicher: »Ich wollte nichts von Leif.«
Ardens Gesicht wurde weicher. Sie umschlang mich fest, ihre Arme pressten jedes Schuldgefühl aus meinem Körper. »Natürlich nicht. Das stand doch nie zur Diskussion.«
Eingehüllt in den Geruch ihres Pullovers, murmelte ich gegen ihre Schulter: »Ich hasse den Gedanken, dass Caleb glaubt, ich könnte jemals –«
»Ich weiß«, antwortete Arden und rieb mir über den Rücken.
Ich wischte mir die Tränen ab. In der sechsten Klasse war ich stinksauer auf Ruby gewesen, weil sie Pip erzählt hatte, ich würde mit meinen Noten »angeben«. Statt ihr meine Gefühle zu erklären, hatte ich zwei Wochen lang nicht mit ihr geredet. Ich ließ die Wunde eitern und größer werden und schwelgte in dem Schweigen zwischen uns. Damals begriff ich eine grundlegende Wahrheit: Man kann die Beziehung zwischen zwei Menschen anhand der Liste von Dingen beurteilen, die zwischen ihnen unausgesprochen bleiben. Ich wollte Caleb in diesem Moment sehen und sei es nur, um ihm all meine Gefühle zu schildern. Dass mich seine Worte verletzt hatten. Dass ich ihm für alles dankbar war, dass ich verängstigt und verwirrt gewesen war. Dass ich nichts von Leif wollte.
Trotz meiner Ängste, trotz der ganzen Lektionen, in denen man mich über die Gefahren abgefragt hatte, die von Männern und Jungen ausgingen, empfand ich etwas für ihn. Nur für ihn.
Mein Kopf lag immer noch an Ardens Schulter, als eine Erschütterung im Raum zu spüren war. Ich spürte das schwache Beben bis in meinen Brustkorb. »Was ist das?«
»Ein Erdbeben!«, schrie Silas, als er mit Benny an der Hand an unserem Zimmer vorbeirannte. Er stolperte beinahe über seine zu großen Shorts, die ihm bis zu den Knöcheln reichten und in der Taille von einer Schnur zusammengehalten wurden. »Raus hier! Raus hier!«
Ein paar der kleineren Jungen rannten den verschlungenen Gang hinunter. Es lief so geordnet ab, als hätten sie es vielfach geübt.
»Ein Erdbeben?«, fragte ich und legte eine Hand gegen die bebende Wand. »Das kann nicht sein.« In der Schule hatten wir Erdbeben erlebt, manchmal hatten uns die Erschütterungen mitten in der Nacht aus den Betten gerissen. Dieses Beben hier war kaum zu spüren und nicht annähernd so stark.
»Lass es uns lieber nicht abwarten«, sagte Arden und zog mich zur Türöffnung.
Wir folgten den Kleinen, die sich durch die Gänge drängten und sich schließlich draußen auf einer felsigen Lichtung neben dem Hügel versammelten. Dort stand auf einer Erhebung ein riesengroßer schwarzer Laster, seine Räder waren über einen Meter hoch. Das Motorendröhnen übertönte jedes andere Geräusch.
»Cool!«, formte Silas mit den Lippen. Im hellen Morgenlicht sah er so viel blasser als alle anderen aus, seine Haut war nicht an die Sonne gewöhnt. Er steckte sich die Finger in die Ohren.
Als Benny mich anlächelte, kam seine Zahnlücke zum Vorschein. »Der ist echt groß!«, rief er.
Beim Anblick der schemenhaften Gestalt auf dem Vordersitz stieg Angst in mir auf. Dieses Riesengefährt mit seinen schlammbespritzten Seitenwänden und eingebeulten Stoßstangen sah nicht
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