Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Er tastete sich vorwärts, kam um die Ecke und kniete sich neben mein Bett. Dann griff er nach meiner Hand.
»Wegen vorhin …«, setzte ich an. Die Stille zwischen uns wurde größer.
Seine Hand drückte meine. Eine Sekunde später lag er neben mir, seine Lippen drückten sich auf meine. Ich schmiegte mich an ihn, aber es war kein sanftes Nachgeben, sondern nackte Gier. Er drängte sich an mich, stieß meinen Kopf nach hinten. Ich öffnete die Augen. Im Mondlicht sah ich sein vor Anspannung verzerrtes Gesicht nur schemenhaft.
Seine Handflächen fühlten sich rau auf meiner Haut an. Alles fühlte sich fremd an, schrecklich – falsch.
Als ich die dicken zusammengebundenen Haare im Nacken ertastete, versuchte ich, ihn wegzustoßen. »Nein!«, schrie ich und drehte mein Gesicht weg. »Nein!«, doch Leif ließ nicht von mir ab, sondern drängte sich über mich, das Holz des Bodens knarzte unter dem Gewicht.
Er stieß mir seine Zunge in den Mund und ich konnte den bitteren fauligen Geschmack des Alkohols schmecken. Er fuhr mit den Händen über meine Schultern und die Arme hinunter. Ich wollte schreien, aber sein Mund presste sich auf meinen. Ich brachte keinen Ton heraus.
Ich wehrte mich. Meine Fäuste trafen Leifs Körper, aber er umklammerte mich nur fester. Er hörte nicht auf, mich zu küssen, ich spürte seine schleimige Spucke auf meinem Kinn. Ich versuchte, ihm zu entkommen, indem ich mich mit einem Ruck auf die Seite rollte. Doch egal, wohin ich mich drehte, er war schneller, sein Atem war heiß und brackig auf meiner Haut.
Man hatte mir so viel gestohlen: meine Mutter, das Haus mit den blauen Schindeln, in dem ich Laufen gelernt hatte, die vollendeten Bilder, die an die Klassenzimmerwand gelehnt standen. Doch dass meine Schwäche ausgenutzt wurde, war von allem das Schmerzhafteste. »Nein«, schien er mit jedem fordernden Grapschen zu sagen. »Nicht mal dein Körper gehört dir.«
Tränen liefen mir übers Gesicht und sammelten sich in meinen Ohren. Er küsste meinen Hals, seine Hände betasteten meinen ganzen Körper. Ich ging unter. Um mich war nur noch Angst, sie wurde so stark, dass mir keine andere Wahl blieb: Ich musste es hinnehmen. Mein Oberkörper bäumte sich auf, meine Füße zuckten. Ich bekam vor Panik keine Luft mehr.
Irgendwo weit über der Oberfläche hörte ich Stimmen. »Was ist hier los?«, fragte jemand. »Sie hat geschrien.« Das grelle Licht der Taschenlampe traf zuerst mein Bein, dann mein feuchtes Gesicht und schließlich Leif, der mit glasigen Augen blinzelnd aufsah.
»Du Vieh«, knurrte Caleb. Er zerrte Leif an den Schultern hoch und schleuderte ihn gegen eines der Regale. Metallkisten polterten herunter, Hunderte von Streichhölzern verteilten sich über den Boden.
In der Türöffnung erschienen Aaron und Michael, ihre Taschenlampen erleuchteten die Dunkelheit. Leif rappelte sich auf. Er stürzte sich auf Caleb und rammte ihm die Schulter gegen die Brust. Caleb wimmerte vor Schmerz, als er gegen die Wand knallte.
»Es reicht, Leif!«, schrie er, aber Leif holte noch einmal aus, dieses Mal traf er Caleb hart am Kiefer. Ich verkroch mich in die hinterste Ecke des Zimmers, ich saß in der Falle.
Leif torkelte zur Seite, der Alkohol machte seine Bewegungen unkoordiniert. »Komm schon, du wolltest doch immer der Anführer sein«, lallte er. Strähnen seiner schwarzen Haare hingen ihm im Gesicht und ich fragte mich, ob er überhaupt geschlafen hatte oder die ganze Zeit unten gewesen war und die letzten Bierdosen niedergemacht hatte. »Dann sei der Anführer, Caleb. Mal sehen, wie es dir gefällt.«
Leif deutete mit einer wilden Handbewegung auf die Türöffnung. Das Durcheinander hatte die anderen Jungen geweckt. Sie klammerten sich aneinander und versuchten, einen Blick zu erhaschen. Kevin setzte seine kaputte Brille auf, als sei er nicht sicher, was er gerade gesehen hatte.
Leif umkreiste Caleb, die Arme in die Hüften gestemmt. Der Junge, der neben mir auf der Klavierbank gesessen und sich zur Musik gewiegt hatte, existierte nicht mehr. Etwas hatte von ihm Besitz ergriffen, etwas Furcht erregendes, Animalisches. »Komm schon«, provozierte er von Neuem und zielte auf Calebs Gesicht. »Jetzt kannst du beweisen, dass du ein Mann bist.«
Caleb machte einen Satz nach vorn. Mit einer schnellen Bewegung verdrehte er Leif den Arm und schleuderte ihn zu Boden. Leif schlug hart auf, seine Wange knallte mit einem schrecklichen Wumm auf das Holz. Unter seinem Gesicht bildete sich
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