Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
auf der Veranda sahen auf.
Caleb rieb über die Stelle zwischen den Augenbrauen. »Wir reden später darüber, wenn wir wieder im Höhlencamp sind. Du bedeutest mir viel, aber –«
»Du bedeutest dir selbst viel«, fuhr ich ihn an.
Sein Kopf zuckte zurück, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Dann drehte er sich langsam um, kletterte durch das Fenster auf die Veranda und verschwand zwischen den Schatten der anderen. Die Jungen flüsterten leise, schließlich wandten sie sich wieder dem Pool zu und sprangen in das dunkle Wasser.
Ohne Caleb wurde der Raum um mich herum immer größer, die Luft immer kälter. Ich setzte mich ans Klavier und schlug ein langes verstimmtes C an. Als Beethovens Mondscheinsonate Note für Note durch das Lagerhaus hallte, gequält und verstimmt, schloss ich die Augen. Beim zweiten Motiv konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich hielt inne und wischte sie weg.
»Was war das denn?«, fragte eine Stimme hinter mir. Leif kam die Treppe herunter, bei jedem Schritt knarrte das Holz. Bevor ich antworten konnte, ließ er sich neben mich auf die schiefe Klavierbank fallen.
»Nichts«, erwiderte ich schnell. Ich sah zu den oberen Stockwerken. »Was hast du da oben gesucht?«
Leif bohrte die Fingernägel so lange in die Bierdose, bis das Metall nachgab. »Hab mich bloß umgeschaut.« Er legte den Kopf schief und verzog den Mund.
Ich hatte mich an seine Anwesenheit im Camp gewöhnt, daran gewöhnt, mich in den engen Gängen an ihm vorbeizudrücken oder ihn mit einem Kopfnicken zu grüßen. Doch in diesem Moment war mit einem Mann zu sprechen so ziemlich das Allerletzte, was ich wollte. Ich klimperte weiter vor mich hin und versuchte, ihn nicht zu beachten, doch er zog ein Blatt aus der Hosentasche und legte es vor mich, als wäre es ein Notenblatt.
Meine Finger erstarrten auf den Tasten.
»Wo hast du das her?«, fragte ich und schnappte mir das Blatt.
NEUE INFORMATIONEN: EVE WURDE ZU-LETZT GESEHEN, ALS SIE IN NORDWEST-LICHER RICHTUNG IN DAS GEBIET UM DEN LAKE TAHOE RITT. SIE WAR IN BEGLEITUNG EINER ANDEREN FRAU UND EINES MANNES IM ALTER ZWISCHEN SIEBZEHN UND ZWANZIG JAHREN. WER SIE SIEHT, UMGEHEND DEN NORDWESTLICHEN AUSSENPOSTEN BENACHRICHTIGEN. SIE MUSS UNVERZÜGLICH DEM KÖNIG ÜBERGEBEN WERDEN.
»Ich kann das erklären. Ich –«
»Mach dir nicht die Mühe.« Leif stützte sich mit dem Arm auf das Klavier und trank noch einen Schluck Bier. Er musterte mich mit seinen schwarzen Augen. »Ich bin ja praktisch auch ein Flüchtling. Ganz sicher hätte mich der König auch wieder gern in seinem Lager, damit ich wie ein Esel Betonblöcke auf meinem Rücken herumschleppe.«
Ich zerknüllte das Blatt in meiner Hand. Sollte ich Leif danken? Oder mich bei ihm entschuldigen? Ich war als Fremde in sein Camp gezogen, hatte die Wahrheit verschwiegen und alle in Gefahr gebracht. »Wir sind nur auf der Durchreise, wir wollen nach Califia.«
Leif musterte mich abschätzend, allerdings lag dieses Mal in seinem Blick keine Wertung, sondern bloß Interesse. »Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du vom König gejagt wirst. Was hast du ausgefressen? Eine Wächterin umgebracht? Eine Lehrerin als Geisel genommen? Nur weil du weggelaufen bist, ist er sicher nicht hinter dir her.« Jetzt lächelte er, in seinem Gesichtsausdruck lag Bewunderung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man stolz darauf sein konnte, jemanden umgebracht zu haben, doch er schien es anziehend zu finden, sein Bild von mir veränderte sich plötzlich und die neuen Aspekte verliehen mir in seinen Augen unerwartete Tiefe.
»Das sage ich lieber nicht.« Mir wurde übel, wenn ich an die Stadt dachte, an den Mann, dessen Gesicht aus dem Goldrahmen in der Schule blickte.
Leif schlug die Tasten hart an, die Töne hallten durch die Stille. Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß Bescheid über die schrecklichen Dinge, die sie tun, vielleicht besser als irgendjemand sonst. Es ist eine Qual, wie Wiesel unter der Erde zu leben und zu wissen, dass sie in der Stadt aus Sand Feste feiern, dass es Ferienanlagen gibt und Swimmingpools mit gereinigtem Wasser. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es in den Lagern zugeht.« Er hörte zu spielen auf und starrte auf die Uhr über dem Klavier. Unter der Scheibe hatte sich Feuchtigkeit gesammelt, die Zeiger standen auf 11:11. »Ich hatte einen Bruder, Asher –«
»Ich weiß«, sagte ich leise. Die Geräusche von draußen drangen in den Raum hinein. Die Jungen rannten durch den
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