Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
geschlossen. Während sie sich am Zaun festhielt, schwankte ihr Körper hin und her, ihre Glieder schienen seltsam kraftlos zu sein. »Was hast du? Was haben sie dir angetan?«, fragte ich. Mein Blick wanderte über die kleine Rasenfläche. Ich erkannte an dem steinernen Picknicktisch ein paar Mädchen aus meiner Klasse und noch einige aus dem Jahr darüber. Maxine, ein Mädchen mit Stupsnase, das pausenlos Klatsch herumerzählt hatte, hatte den Kopf auf den Tisch gelegt. »Ruby?«
»Geh vom Zaun weg«, rief eine Wächterin von innen. Die Frau war klein und untersetzt, ihre Wangen voller Pockennarben. »Abstand!« Sie richtete ihr Gewehr auf mich, doch ich beachtete sie nicht weiter, sondern drückte mein Gesicht gegen den Zaun, bis meine Nase fast Rubys berührte.
»Wo ist Pip?«, flüsterte ich. Ruby sah mich nicht an, sondern starrte auf meine abgewetzten grauen Stiefel. »Ruby, antworte mir«, drängte ich. Die Wächterin in dem Pferch kam auf uns zu. Stark war aus dem Jeep gestiegen. Uns blieb nicht viel Zeit.
Ruby sah zum Himmel hoch. Die Sonne traf ihre walnussbraunen Augen und ließ die goldenen und braunen Sprenkel darin leuchten. Sag etwas, dachte ich, als Stark auf mich zukam, Lowell folgte ihm auf dem Fuß. Bitte sag etwas.
»Geh weg vom Zaun, Eve! Genug«, rief Stark. Dann zu der Wächterin: »Nehmen Sie die Waffe runter!«
»Bitte«, drängte ich.
Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen. »Wo sind die ganzen Vögel?«, fragte sie und presste die Stirn gegen den Zaun.
Stark packte mich am Ellbogen. Er bedeutete der Wächterin mit erhobener Hand, ihre Waffe zu senken. »So, es reicht jetzt. Geh zurück in den Wagen«, murmelte er, seine Finger bohrten sich in das weiche Fleisch meiner Arme. Während sie mich wieder in den Jeep verfrachteten und erneut am Überrollbügel festbanden, ließ ich Ruby nicht aus den Augen. Sie lehnte noch immer am Zaun, ihr Mund bewegte sich, als hätte sie überhaupt nicht mitbekommen, dass ich gegangen war.
Lowell ließ den Motor an und die Reifen des Jeeps knirschten auf der harten Erde. Das Tor öffnete sich. Ich fühlte wieder die vertraute Einsamkeit, das bodenlose, leere Gefühl, niemanden zu haben. Der Ort, der mir Pip und Ruby gestohlen hatte, nahm mir nun auch Arden. Ich sah zu, wie die Steinwand hinter den Bäumen verschwand, als sich das Tor schloss. So viel von meinem Leben war noch immer dahinter gefangen.
ZEHN
Die Sonne verschwand hinter den Bergen, die Wälder wichen weiten Sandflächen. Ich saß an die Metallstreben des Jeeps gefesselt, nach den vielen Stunden im Wagen war mein Körper steif und wund. Um den zahlreichen unbeweglichen, ausgebrannten Autowracks auszuweichen, die auf der Straße standen, waren wir gezwungen, über die holprige nackte Erde zu fahren. Der Jeep rumpelte unter riesigen Werbetafeln hindurch, deren Papier bereits in Fetzen herunterhing, die Bilder waren in der Sonne verblasst. PALMS stand auf einem. EIN HOTEL. TAUSEND VERSUCHUNGEN. Auf einem anderen waren Flaschen mit bernsteinfarbener Flüssigkeit zu sehen, von dem Glas perlten Wassertropfen. Das Wort über den Flaschen war nicht mehr lesbar.
Wir rasten auf die Mauern der Stadt zu. Gewaltige Hochhäuser erhoben sich aus der Wüste, genau wie man es uns in der Schule erzählt hatte. Meine Gedanken waren bei Arden und Pip, die an Metallbetten festgeschnallt waren, und bei Rubys leerem Blick. Rubys Frage ging mir nicht mehr aus dem Kopf- Was ist mit mir? Die Schuldgefühle kehrten zurück. Ich hatte nicht genug getan. Ich war in jener Nacht in dem Glauben davongegangen, ich könnte zurückkommen. Es wäre mehr Zeit. Jetzt, mit gefesselten Händen, kurz vor der Stadt aus Sand, konnte ich ihnen nicht mehr helfen.
Als wir uns der über fünfzehn Meter hohen Mauer näherten, zog Stark eine runde Plakette aus der Tasche und hielt sie den Wächtern entgegen. Nach einer ganzen Weile öffnete sich ein Tor in der Mauer, es war gerade groß genug, dass der Jeep hindurchpasste. Wir fuhren hinein und hielten vor einer Absperrung. Soldaten umringten den Jeep mit gezogenen Waffen. »Eure Namen!«, brüllte einer aus der Dunkelheit. Stark hielt seine Plakette hoch und nannte seinen Namen und seine Dienstnummer. Die beiden anderen Männer im Wagen folgten seinem Beispiel. Ein Soldat mit sonnenverbrannter Haut musterte die Plakette, während die anderen den Jeep überprüften, indem sie den Unterboden, die Gesichter der Männer und den Boden um ihre Füße ableuchteten. Der Lichtstrahl
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