Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
während ich alleine in die Wildnis zurückkehrte, um wer weiß wie lange – Monate? Jahre? – darauf zu warten, dass man mich zurückholte. Sie war alles, was mir noch geblieben war.
Bitte, dachte ich und wünschte mir zum ersten Mal seit Tagen, dass die Übelkeit zurückkommen und ich wieder etwas fühlen möge. Ich wollte sie nicht verlieren. Ich wollte nicht die Chance auf das, was aus ihr werden würde, oder auf das, was ich für sie sein könnte, verlieren. Ich konnte es einfach nicht, nicht jetzt. Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, doch er kehrte jedes Mal wieder zurück, bis ich mich auf dem Fensterbrett wiederfand, das T-Shirt in meinen Händen. Ich drückte den dünnen Stoff an mein Gesicht, während ich versuchte, meine Atmung zu beruhigen, doch jeder Atemzug blieb irgendwo in meinem Inneren hängen. Stundenlang saß sich so in dem stillen Raum und brachte seinen Namen kaum über meine Lippen: Caleb.
ELF
»Dem Lieutenant zufolge kommen auf jeden von ihnen drei von unseren Soldaten.« Tante Rose schob ihr Rührei mit der Gabel von einer Seite ihres Tellers auf die andere und wieder zurück. Es war das erste Mal, dass ich sie ohne Make-up sah. Die Haut unter ihren Augen war bläulich und ihre Wimpern kaum zu sehen.
»Was zählt, ist, dass wir hier sicher sind«, sagte Charles. »Hundert Soldaten oder mehr umringen den Palast. Niemand gelangt in den Turm.« Er warf mir dabei einen Seitenblick zu, als könne ich die Wahrheit seiner Worte bestätigen.
Ich starrte auf die dünne Scheibe Brot auf meinem Teller hinunter und auf den kleinen Haufen Rührei daneben. Ich hatte keinen Appetit, aber ich konnte immer noch nichts spüren. Mein Vater war am vergangenen Abend zu krank gewesen, um mit mir zu sprechen, doch der Lieutenant hatte allen versichert, dass die Belagerung in ein oder zwei Tagen beendet sein würde. Dennoch hatten sie bereits begonnen, das Essen zu rationieren. Die Lebensmitteltransporte aus den Außenbezirken kamen nicht durch, und so waren die Küchen verschlossen worden. Einer Palastangestellten, einer älteren, dürren Dame mit Brille, war die unerfreuliche Aufgabe zuteilgeworden, die Rationen auf Nachfrage auszugeben.
Wir saßen da und schoben unser Essen auf unseren Tellern herum, während wir auf die Geräusche der Stadt unter uns lauschten. Selbst von der Turmspitze des Palastes waren die Gewehrschüsse noch zu hören. Hin und wieder wurden die Kämpfe von einem schnellen, trockenen Knallen unterbrochen, das mir eine Gänsehaut über die Arme jagte.
Claras zögerliche Stimme durchbrach die Stille. »Wie geht es ihm?« Sie wagte nicht, mich anzusehen, während sie sprach.
Rose hielt den Blick auf ihr Essen gerichtet und legte die Gabel für einen Moment auf dem Rand ihres Tellers ab. »Nicht besser, nicht schlechter«, antwortete sie. »Ihr habt doch nicht außerhalb der Palastmauern über seine Krankheit gesprochen, oder?«
»Nein, Mutter.« Clara schüttelte den Kopf.
Mir stieg das Blut in die Wangen und mein Gesicht brannte. Jemand lief durch den Flur. Seine Schritte wurden immer lauter, als er auf uns zukam. Ich sah zur Tür und wartete darauf, dass Moss eintreten würde. Wo war er? Er konnte bei der Belagerung verletzt worden sein. Oder er versteckte sich bei den Rebellen. Er war ganz sicher nicht gefangen genommen worden. Es gab so viele mögliche Gründe, weswegen er nicht hier im Palast war. Ich war jedoch krampfhaft bemüht, nicht an den beängstigendsten zu denken: Was, wenn er mich verraten hatte?
Ich konnte kaum atmen. Es war viel zu warm im Zimmer. Beim Anblick des Essens, der festen, kalten Eier, wurde mir übel. »Ich fühle mich nicht gut«, sagte ich und schob meinen Stuhl zurück. »Ich kann nicht …«
Ich machte mir nicht die Mühe, den Satz zu beenden. Ich stand einfach auf und ging hinaus und das fürchterliche Gefühl der Hoffnungslosigkeit folgte mir. Vielleicht war es besser, jetzt zu gehen, trotz der Ungewissheit.
Aber wie konnte ich Clara oder Charles hier zurücklassen? Wenn es stimmte, was der Lieutenant sagte, wenn die Armee in der Lage war, die Rebellen zu besiegen, dann waren sie in Sicherheit. Dann war ich die Einzige, die in Gefahr schwebte.
Ich wollte gerade auf mein Zimmer gehen, als eine Stimme hinter mir meinen Namen rief. »Prinzessin Genevieve«, sagte der Arzt. »Euer Vater würde gerne mit Euch sprechen.« Seine kleinen schwarzen Augen betrachteten mich durch dicke Brillengläser. Er sah müde aus: Seine Schultern waren
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