Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
in die Außenbezirke gefahren, um über die Vorgänge dort Bericht zu erstatten. Ich konnte den Palast nicht wie besprochen heute Nacht verlassen – nicht, solange ich nicht Clara, ihre Mutter und Charles in Sicherheit wusste.
Alles fühlte sich zutiefst falsch an. Ich versuchte, nicht weiter nachzudenken, und schrieb einfach nur die Worte aus dem Funkgerät ab, indem ich immer sieben auf einmal auf der Seite untereinanderschrieb, wie Moss es mir gezeigt hatte. Ich schrieb, bis mir das Handgelenk wehtat und meine Finger verkrampft waren, dann drehte ich den Regler zu dem nächsten Strich, den Moss markiert hatte.
Es dauerte fast eine Stunde, bis ich den genuschelten Nonsens aufgeschrieben und ihn mir danach noch zwei weitere Male angehört hatte, nur um ganz sicher zu sein, dass ich alles richtig verstanden hatte. Als ich fertig war, hatte ich zwei Textblöcke, jeweils sieben Zeilen mit je zehn Wörtern lang. Ich legte die beiden Seiten nebeneinander und schrieb jedes dritte Wort einer Zeile ab, dann jedes sechste und schließlich jedes neunte.
Ich starrte einen Augenblick auf diese neuen Sätze. Dann schaltete ich das Funkgerät aus und blieb reglos sitzen. Die Kolonien sind abgesprungen. Sie werden die Belagerung der Stadt nicht unterstützen.
Ich hielt das Funkgerät in meinen Händen und konnte es einfach nicht glauben. Die Kolonien kamen nicht. Innerhalb eines Tages, durch eine einzige Entscheidung, hatten die Rebellen Tausende Soldaten verloren. Was bedeutete das für die, die bereits angegriffen hatten? Was bedeutete es für alle innerhalb der Stadtmauern? Moss hatte so sehr darauf vertraut, dass sie kommen und der Rebellenbewegung die nötige Verstärkung bringen würden, um die Stadt einzunehmen. Nun erschien alles so viel ungewisser.
Ich saß da und wartete darauf, dass ich etwas – irgendetwas – fühlen würde, doch mein Inneres war kalt und leer. Meine Hände waren taub, als ich das Funkgerät beiseitestellte. Meine Schwangerschaft kam mir manchmal eher wie eine anhaltende, alles verzehrende Krankheit vor und weniger wie ein Kind, das in mir heranwuchs. Aber seit die Belagerung begonnen hatte, hatte ich die heftige Übelkeit nicht mehr gespürt. Mehr als acht Stunden waren seither vergangen. Mein Magen war nicht verkrampft und völlig durcheinander. Ich fühlte nichts, und dieses Nichts machte mir Angst. Mir fielen die Worte des Arztes wieder ein. Er hatte gesagt, dass ich das Kind immer noch würde verlieren können, dass Stress und Anstrengung zu einem vorzeitigen Ende der Schwangerschaft führen könnten.
Mit weichen Knien stand ich auf und ging in den hinteren Teil des Badezimmers. Ich stieg auf das Kopfende der Wanne, von wo aus ich gerade eben so an das kleine Abluftgitter unterhalb der Decke herankam. Ich hatte eine der Schrauben unten an dem runden Gitter abgeschraubt, das sich nun problemlos nach rechts oben verschieben ließ, sodass ich meine Hand in den Hohlraum dahinter stecken konnte. Ich zog die Plastiktüte heraus, die ich an das hintere Ende des Luftschachts gestopft hatte. Das graue T-Shirt lag zerknüllt darin, sicher in seinem kleinen Versteck verborgen.
Ich hielt es in meinen Händen und strich über den zerrissenen Saum am unteren Rand und über das Label mit dem Buchstaben C darauf, das nur noch an einigen wenigen Fädchen hing. Dies war vielleicht der letzte Gegenstand, der mir noch von Caleb geblieben war – der einzige Beweis, dass es ihn überhaupt gegeben hatte. Das alles wirkte nun so klein und jämmerlich, so vergänglich. An den Nähten löste sich bereits der Faden.
Das Wort – verlieren – wog schwerer als je zuvor. Was, wenn ich das Baby, nachdem ich es wochenlang ohne es zu wissen in mir getragen hatte, bereits verloren hatte? Zum ersten Mal, seit ich von der Schwangerschaft erfahren hatte, wurde ich von einer solch starken Trauer übermannt, wie sie in den Wochen nach Calebs Tod plötzlich über mich hereingebrochen war.
So schwer es auch sein mochte, ein Baby außerhalb der Stadtmauern großzuziehen, ich wollte es – es war ein Teil von mir, von uns. Und in wenigen Tagen würde sie (warum glaubte ich, dass es ein Mädchen war?) die einzige Familie sein, die ich noch hatte.
Einen weiteren Verlust konnte ich nicht ertragen. Schon jetzt gab es so wenig, an das ich mich noch klammern konnte. Moss war verschwunden. Caleb war tot. In ein paar Tagen würde alles vorbei sein, die Stadt und mit ihr Clara und der Palast würden hinter mir zurückbleiben,
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