Eve - Das brennende Leben
würden folgen.
Sie beugte sich hinunter zu der Drohne, die zu schwer war, um sie aufzuheben, und küsste sie.
Die Drohne starb nicht – jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie wurde repariert oder wenigstens auseinandergenommen und neu zusammengebaut.
Ralea, ruhig und fast vollkommen verrückt, nahm eine weitere Tablette in den Mund und ging weiter.
Die Künstlerquartiere lagen am äußersten Ende der Strecke. Sie waren die letzte Bastion fröhlichen Lebens, bevor man in viel dunklere Gegenden hinabstieg. Mit ihrer anarchischen und sorglosen Atmosphäre hätten sie auch nirgendwo anders liegen können. Hier, in diesen wenigen Gängen, hielten sich diejenigen auf, die gerne im Windschatten segelten, sich kaum um vergangene Tage und schon gar nicht um morgen scherten. Sie lebten hauptsächlich von gelegentlichen Finanzspritzen von oben, wo die Leute ihre eigenen Vorstellungen von Amüsement hatten.
Hier lag ständig Musik in der Luft. Ralea war davon verzaubert. Sie ging an betrunkenen Nachtschwärmern vorbei, die nach den merkwürdigen Moderichtungen all derer gekleidet waren, die Geld durch Erfindungsreichtum ersetzten. Aber auch schweigende Typen mit ernstem Gesichtsausdruck saßen auf dem Boden und bliesen Rauch in merkwürdigen Formen aus. Eine Handvoll Menschen hatte winzige, umgebaute 3D-Projektoren bei sich, mit denen sie wie Kinder herumspielten. Sie ließen bunte, geometrische Figuren in der Luft entstehen, verwandelten sie und ließen sie wie Drachen im Sturm hin und her schweben. Ralea bekam von den flackernden Lichtern Kopfschmerzen. Sie blieb stehen und schloss die Augen, um die Musik besser hören zu können.
Diese erklang aus einer Ecke an der Seite des Ganges. Der Musikant war ein Mann in Raleas Alter, der im Schneidersitz auf einem kleinen, ausgefransten Teppich saß. Seine überwiegend braun und grau gefärbte Kleidung saß locker. Dadurch wurde seine Figur mehr oder weniger versteckt. Ralea bemerkte aber, dass er dünne Handgelenke und Finger hatte. Sein Haar war dunkelbraun, etwa schulterlang, und zeigte einen leicht öligen Schimmer. Strähnen hingen ihm vors Gesicht und verdeckten es. Dennoch sah Ralea die dunklen, geschwungenen Augenbrauen, halbgeschlossene Augen, die perfekt geformte Nase, hohe, dünne Wangenknochen und einen Mund, der zu einem schwachen Lächeln verzogen war.
Er war vollkommen in sein Spiel vertieft. Vor ihm auf dem Teppich lag ein Theremax. Es bestand aus einem dünnen, schwarzen Stück aus gummiähnlichem Material. Wenn man es ausrollte, hatte es ungefähr die Länge und Breite eines Unterarms. Es wies keine Markierungen auf; nur zwei parallele Linien zogen sich über seine Oberfläche und teilten das Instrument in drei gleich große Teile. Ralea hatte bisher nur davon gehört. Diese Instrumente waren unglaublich schwer zu spielen. Man brauchte dafür das absolute Gehör und eine Menge musikalisches Talent.
Um ein Theremax zu spielen, berührt man sanft mit den Fingern die schwarze Oberfläche, lässt sie dort kurz verweilen und hebt sie dann langsam an. Das Instrument stimmt dann ein leises, aber volltönendes und tiefes Summen an. Das ist der Anfang, die Ausgangsposition. Von nun an folgt der Klang jeder Handbewegung. Macht man mit den Händen wellenförmige Bewegungen, wie ein träge dahinschwimmender Fisch, verstärkt man tiefere Noten, von denen man eingehüllt wird. Wenn man die Hände sanft auf und ab bewegt und die Bewegungen von Vogelschwingen nachahmt, schweben die Noten zuerst zögernd und steigen dann ebenfalls an. Die Bewegungen einzelner Finger vervielfältigen Noten, lassen sie miteinander
verschmelzen und herumwirbeln wie Tänzer auf einer Bühne. Krümmt man die Finger, wird die Note in die Länge gezogen, als ob sie um die Finger gewunden wird. Ballt man die Hand zur Faust, wird der Klang erstickt, als ob er verzweifelt nach Luft schnappt. Zum Schluss lässt man los und schüttelt die Hände aus. Das Theremax verstummt, als ob es nie lebendig gewesen wäre.
Vor dem Instrument lag ein kleiner Filzhut. Darin befanden sich ein Guthabenscanner und ein kleines Stück Papier, auf dem stand »Gebt etwas«. Die winzige Digitalanzeige auf dem Scanner blinkte und zeigte das aktuelle Guthaben. Für einen Straßenmusikanten war der Betrag recht hoch, doch Ralea fand, dass er es auf jeden Fall wert war.
Sie nahm ihre Karte und tippte eine Zahl ein. Dann beugte sie sich hinunter und berührte damit den Scanner, der kurz aufblinkte. Der Spieler
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