Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
zusammengereimt, dass es mit meinem Vater zu tun hat. Er ist ja Bosnier. Er ist Moslem. Und soviel ich mich erinnern kann, hält sich seine Familie an das Alkoholverbot.“
„Du hast Kontakt mit deinem Vater?“, fragt Vesna.
Céline schüttelt den Kopf. „Schon lange nicht mehr. Ich weiß, dass wir ein halbes Jahr oder so in Bosnien gelebt haben, aber ich habe so gut wie keine Erinnerung daran. Ich war damals drei. Das war knapp vor dem Krieg. Und auch noch vor dem Krieg hat er eine Frau von unten geheiratet. Seine Familie wollte keinen Kontakt mehr mit uns, hat zumindest Mama gesagt.“
„Er geht dir nicht ab?“, fragt Vesna und ich denke, wie wenig ich nach wie vor über Vesnas Familie in Bosnien weiß. Ich muss sie einmal ganz gezielt danach fragen. Andererseits: Wenn sie davon erzählen wollte, hätte sie es längst getan.
Céline schweigt. „Manchmal schon“, sagt sie dann. „Ich wollte ihn auch über Mamas Tod informieren, aber ich weiß nicht …“
„Das wäre gute Idee“, sagt Vesna fest.
„Keine Ahnung, ob er noch in Banja Luka ist.“
„Das kann ich feststellen. Und übersetzen kann ich auch. Ich bin sicher, er ist stolz auf seine talentierte Tochter.“
„Keine Ahnung, ob er sich noch an mich erinnert.“ Das klingt jetzt eindeutig traurig. Dann sieht Céline auf die Uhr. „Ich hab eine Theoriestunde. Sie geht in zehn Minuten los.“
„Kann es sein, dass deine Mutter in letzter Zeit doch hin und wieder Männerbesuch hatte?“, frage ich vorsichtig.
„Sicher nicht, sie hatte genug von den Männern. Total. Sie hat mir wenig mitgegeben, aber sie hat immer gesagt: ‚Heirate auf keinen Fall, bevor du dreißig bist. Und lass dir kein Kind machen.‘ Ich war als Halbwüchsige beleidigt, weil ich gedacht habe, sie spricht von uns und hat uns nicht gewollt. Sie hat uns mit neunzehn und einundzwanzig bekommen.“ Céline löst sich vom Auto, sieht uns an, schweigt, will gehen. Es gab eine Zeit, da scheint ihre Mutter glücklich und verliebt gewesen zu sein. Was ist aus dieser Liebe geworden?
„Ich hab im Haus Fotos gefunden, auch von der Band. Kannst du dich erinnern, wie die beiden anderen aus ihrer Band geheißen haben?“, will ich wissen und denke an den Keyboarder mit den langen Haaren. „Einer der beiden soll einen prominenten Vater gehabt haben, sagt deine Tante.“
Céline schüttelt den Kopf. „Mama wollte über diese Zeit nicht sprechen. Sie hat es nur ganz selten getan, und dann ziemlich allgemein. Sie hat gesagt, dass auch sie einmal jung und schön gewesen sei und dass ihre Band großartig war. Den Namen der Band weiß ich noch: ‚Three Friends‘. Aber die Namen der beiden anderen Musiker … Sie hat von der Band gesprochen wie vom Paradies. Und ähnlich unwahrscheinlich ist mir auch alles vorgekommen. Damals muss sie jünger gewesen sein, als ich jetzt bin. Die Fotos von der Band … ich wusste nicht, dass sie welche hatte. Ich würde sie gerne haben. Es gibt so wenig, was von Mama geblieben ist.“
Ich fahre mit Vesna durch den Wiener Abendverkehr.
„Vielleicht liegt Grund für Evelyns Tod in der Vergangenheit“, sagt Vesna unvermittelt. „Aber sieht so aus, keiner weiß viel über ihr früheres Leben.“
„Wir haben die Fotos und den Namen der Band. Vielleicht kann man in Zeitungsarchiven etwas finden“, überlege ich.
„Waren nicht besonders bekannt, glaube ich“, überlegt Vesna. „Jetzt natürlich hätten sie Homepage, und alles ist kein Problem. Man muss schauen, ob sie eine Platte aufgenommen haben. Vielleicht eine Single. Und Tonkassetten hat es damals auch gegeben.“
Mir scheint, als redete Vesna von einer Epoche, die Jahrhunderte zurückliegt. Und doch: Ich bin in dieser Zeit groß geworden. Mein Kopf pocht. Das ist jetzt nicht mehr nur die Beule, die schmerzt, es ist der ganze Kopf. Ich habe sehr selten Kopfweh. Ob ich doch zum Arzt gehen sollte? Morgen ist Redaktionsschluss. Den Fototermin mit der Secondhandladenbesitzerin habe ich auf morgen früh verlegt. Ich habe noch viel zu wenig Material für meine Story. Vesnas Telefon läutet.
„Nein, kannst morgen sicher nicht frei haben. Wir haben Stress mit Reinigung von Industriehalle. Und Zara ist krank. Wirklich krank. Basta.“ Vesna schüttelt den Kopf. „Nichts als Probleme. Zu viele Aufträge. Das ist an sich gut. Aber zu wenig Leute. Und Valentin … ich habe ihn heute gar nicht erreicht.“
„Oskar ist in Frankfurt“, sage ich, wie um sie zu trösten. Er ist schon zum zweiten Mal in
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