Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
dickes Auto im Juni zu sehen. Nur viel einsames Leben. Nächste Speicherkarte. Im dritten File sitzt Evelyn am Tisch und trinkt Cola und schält einen großen, matschig wirkenden Kuchen aus einer Cellophanverpackung. Auf der Packung ein deutlich sichtbarer roter Aufkleber. –50%. Evelyn stößt an ihr Mobiltelefon, es fällt um, sie lehnt es offenbar wieder an den Brotkorb, nun ist es auf das Fenster gerichtet. Und: Draußen wieder das große Auto. Zufall kann das keiner sein. Zweimal verirrt man sich nicht hierher. Man sieht Evelyns Gesicht im Profil, sie muss das Auto genau in diesem Moment bemerkt haben, ihr Hals wird lang, sie murmelt etwas, das ich beim besten Willen nicht verstehen kann, dann verschwindet sie aus dem Blickwinkel der Kamera, der Stuhl scharrt am Plastikboden, sie scheint aufzustehen, ich höre, wie sie die Tür nach draußen öffnet. Warum, verdammt noch einmal, nimmt sie ihren Liebling nicht mit? Von ganz weit weg höre ich sie kreischen: „Verschwinde! Verschwinde!“ Sie hat noch immer eine weittragende Stimme.
Ein Schatten hinter dem Baum, die Fahrertür scheint auf- und wieder zuzugehen. Aber es kann auch bloß ein Lichtreflex sein. Ohne Laut fährt der Wagen weg. Ein Scharren, ein Schlurfen, eine dicke, fleischige Hand, und der Film ist aus.
Es ist halb zehn am Vormittag. Das Fotoshooting mit der Nobelsecondhandladenbesitzerin geht zum Glück sehr rasch. Man merkt, dass sie als Model gearbeitet hat. Und es scheint ihr Spaß zu machen, als Geschäftsfrau zu posieren. Nebenbei versuche ich etwas über ihre prominenten Kunden herauszufinden. Barbie ist zwar in die Jahre gekommen, aber dafür gewitzt. Sie verrät nichts. Mist. Ich muss in die Redaktion und die Geschichte ist noch verdammt dünn. Warum gebe ich mir eigentlich solche Mühe? Ich wollte die Story nicht. Wenn nicht dieser dumme Ehrgeiz wäre. Okay, freundlich formuliert könnte man ihn auch Professionalität nennen. Ich sehe gerade einige Blusen durch, als neue Kunden das Lokal betreten. Ein jüngerer Mann und eine noch jüngere Frau. Ihn meine ich schon einmal gesehen zu haben. Leider habe ich ein ziemlich schlechtes Personengedächtnis. Ich kann nicht verstehen, was Barbie Schönfeld mit ihnen redet. Dann aber kommt sie auf mich zu und lächelt: „Die haben nichts dagegen, wenn sie in Ihrer Story vorkommen.“ Sie nennt mir den Namen eines Fußballers, den sogar ich kenne. Ich bin für alles dankbar. Wir machen noch ein paar Fotos vom Fußballer und seiner Freundin, die einen Versace-Mantel anprobiert. Die Verkäuferin, die schon beim letzten Mal hier war, schwirrt um die beiden herum. Als sie einige Kleider holt, die an einem Ständer direkt neben mir hängen, flüstert sie mir zu: „Der Mantel, der ist von einer Ministerin.“
Ich flüstere zurück: „Von welcher?“
„Na, wir haben doch nur eine, die da reinpasst.“
Herzlichen Dank. Unternehmerin Barbie wird mir verzeihen, wenn ich diese Information nicht für mich behalte. Ich hätte mir ja auch die Mühe machen und Politikerinnen befragen können, ob sie ihre getragenen Klamotten verkaufen. Was ja eigentlich hoch vernünftig wäre. Hoppla. Und was, wenn sie auf Staatskosten gekauft worden sind? Für offizielle Anlässe? Nach der Aufregung über die private Nutzung von Dienstautos eine neue nette Privilegiengeschichte. Andererseits: Unsere versammelte Neidgesellschaft geht mir ziemlich auf den Geist.
In einer halben Stunde werde ich die Fotos haben, das hat mein Fotograf versprochen. Ich rufe vom Schreibtisch in der Redaktion aus das Büro jener Ministerin an, von der ich vermute, dass sie in den Mantel passt, werde ohne große Probleme zu ihr durchgestellt. Ich habe mit ihr bislang nicht viel zu tun gehabt, finde sie aber ganz sympathisch. Kompetent und unaufgeregt, vielleicht ein wenig trocken.
Natürlich könne ich schreiben, dass sie ihre getragenen Haute-Couture-Stücke verkaufe, sagt sie. „Ich habe den Tipp von einer Managerin bekommen. Ich habe mich, bevor ich Ministerin wurde, wenig um meine Garderobe gekümmert. Sie hat mir gesagt, wo ich schnell etwas Passendes finde, und als ich bei den Preisen fast in Ohnmacht gefallen bin, hat sie ganz cool gemeint: ‚Wozu gibt es Secondhandläden?‘ “
„Sie haben ein eigenes Budget für Ihre Garderobe?“
„Ach so, daher weht der Wind. Nein, habe ich nicht. Ich würde es auch nicht in Anspruch nehmen. Und ob Sie es glauben oder nicht, ich kann meine Garderobe auch nicht als Dienstkleidung von der Steuer
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