Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Ausland gegangen, ich wusste nicht einmal, dass sie wieder in Österreich lebt. Vor ein paar Monaten: Der Zufall. Ich gehe in so einen Diskonter, will mir rasch etwas fürs Abendessen kaufen. Es war ein gutes Fußballmatch im Fernsehen und meine Haushälterin war auf Urlaub. Und da sehe ich sie: Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt, es war ja fast fünfundzwanzig Jahre her, aber dann war ich mir sicher. Ich bin hin zu Evelyn. Ich war entsetzt, wie sie aussah, das gebe ich zu, aber ich war auch einfach happy, dass sie lebt, dass ich sie nach so langer Zeit wieder getroffen habe. Das damals war eine wunderbare Zeit, müssen Sie wissen.“
„Und Evelyn?“, frage ich.
„Die hat mich sofort wiedererkannt, das habe ich gesehen, aber sie hat gesagt, dass ich sie verwechseln müsse. Ich hab sie richtig angefleht, mich doch nicht so stehen zu lassen, mit mir wenigstens einen Kaffee zu trinken. Sie hat nur den Kopf geschüttelt. ‚DIE Evelyn, das bin ich nicht‘, hat sie immer wieder gesagt. Kurz habe ich gedacht, sie ist einfach wirr, verrückt, aber ihr Blick war ganz klar. Ich war zu feige. Wir hatten schon Aufsehen erregt, ich bin dann hinter ihr her, zur Kassa, mit zur S-Bahn. Was hätte ich denn tun sollen? Sie ist eingestiegen und davongefahren.“
„Und woher wussten Sie, wo sie jetzt wohnt?“, will Vesna wissen. Ich weiß nicht, ob wir ihm die Geschichte glauben dürfen, aber irgendwie tue ich es.
„Nachforschungen. Das geht ganz schnell. Ich Idiot wollte ihr zeigen, dass ich inzwischen Geld habe, viel Geld, dass ich ihr helfen kann, dass ich nichts dafür will … Sie hat mich nicht einmal reingelassen.“
„Was ist damals passiert in der Band?“, murmle ich. „Warum haben Sie aufgehört, die ‚Three Friends‘ zu sein?“
Hans Tobler sieht zu Boden. Nach einer Weile sagt er: „Hubert, der Keyboarder hatte einen Unfall. Er ist gestorben.“
„Ich habe Fotos von der Band gefunden. Und eines vor dem Riesenrad. Evelyn mit Hubert, irgendwo dahinter Sie mit Zuckerwatte.“
Der Autohändler seufzt. „Sie hatte diese Bilder noch? Ja. Sie hat ihn geliebt. Leider ihn. Aber er war auch etwas ganz Besonderes. Ich war Mechaniker, Evelyn und ich sind in der gleichen Straße aufgewachsen, ich war beinahe so etwas wie ein älterer Bruder für sie. Wir hatten beide nicht gerade das, was man unter gutem Elternhaus versteht. Ich bin bei meiner Großmutter groß geworden, sie in einer Familie, wo ständig nur gebetet wurde. Ihre Eltern waren bei irgendeiner Sekte. Hubert hat studiert. Volkswirtschaft. Und nebenbei, heimlich, weil es der Vater nicht wollte, Soziologie und Politikwissenschaften. Sein Vater ist damals Minister gewesen, Osthof, Franz Osthof, er war Wirtschaftsminister.“
„Und … wie ist Hubert ums Leben gekommen?“, frage ich.
Hans Tobler schüttelt den Kopf. „Ganz schlimm“, sagt er dann. „Er ist mit beiden Händen in eine Zerkleinerungsmaschine gekommen, in einen riesigen Häcksler. Keiner war da. Er hatte etwas getrunken. Seine Arme waren komplett zerlegt, er ist verblutet. Evelyn ist mit seinem Tod nicht fertig geworden. Ich wollte ihr Halt geben, habe ihr gesagt, dass ich für sie da bin, als Freund, auch wenn sie damals wohl schon gemerkt hatte, dass ich sie liebe, aber sie ist einfach abgehauen. Ist mit einer seltsamen Truppe quer durch Europa getingelt, sie haben auf Zeltfesten und Bällen und in Diskotheken gespielt. Ich bin ihr zweimal hinterhergefahren, aber sie hat gesagt, dass sie mit ihrem früheren Leben abgeschlossen hat.“
„Früher sie hatte größere Pläne als Tingelgruppe“, meint Vesna.
„Ja, die hat sie gehabt. Wir waren in der engen Wahl für diese Talenteshow im Fernsehen. Sie hatte eine grandiose Stimme. Hubert und ich, wir waren nicht annähernd so gut wie sie.“
Ich räuspere mich. „Und wie sind Sie zu all dem da gekommen?“ Ich schaue auf den Bohrturm, der hinter der Fensterfront steht. „Ein reicher Onkel aus Amerika?“
Er schüttelt den Kopf, traurig. „Ich hatte meine beiden besten Freunde verloren und hatte plötzlich sehr viel Zeit. Ich wollte mich ablenken und habe neben meiner Arbeit in der Autowerkstatt begonnen nach Ersatzteilen für amerikanische Oldtimer und Luxusschlitten zu suchen und sie zu verkaufen. Das war damals noch gar nicht so einfach, Internet gab es ja noch nicht. Es war eine gute Geschäftsidee. Zwei Jahre später habe ich die Werkstatt meines Chefs gekauft, fünf Jahre später habe ich mit dem Autohandel begonnen. –
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