Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
konzentrieren muss, ich boxe gegen ihr Knie, sie fällt. Wo ist die Pistole? „Frau Valensky“, schreit die Postlerin. „Aufhören! Aufhören!“
Das hätte sie gerne. Die Pistole liegt neben ihr. Es gelingt mir, sie zu fassen. Ist auch nicht schwierig, die Postlerin scheint den Widerstand aufgegeben zu haben. Gut so.
„Ich dachte, Sie sind ein Einbrecher!“, schreit sie.
So ein Unsinn. Ich scheine es laut gedacht zu haben.
„Kein Unsinn. Sie sind da herumgeschlichen.“
Ich halte die Waffe fest in der Hand und stehe auf. Die Postbeamtin sitzt am Boden. „Es hat bei uns erst eine Einbruchserie gegeben“, keucht sie. „Was wollen Sie da?“
„Und was haben Sie hier in der Nacht zu suchen?“, frage ich, ein wenig verunsichert. „Was schleppen Sie da herum? Ist wohl nicht gerade Zeit und Ort, Pakete zuzustellen.“
„Tun Sie bitte die Waffe weg!“, kommt es nahezu autoritär zurück. „Es ist zwar nur eine Schreckschusspistole, aber trotzdem …“
Ich senke die Pistole, um meinen guten Willen zu zeigen, behalte die Frau aber konzentriert im Auge.
„Sie können nachsehen. Im Paket ist ein Ersatzakku für einen Rasenmäher. Er gehört Dr. Hochleitner, ich habe ihm versprochen, das Paket am Abend einfach in den Schuppen zu stellen. Dr. Hochleitner kommt nur am Wochenende heraus. Und ich bin dieses Wochenende nicht da.“
Wie? Was? Das soll ich ihr glauben?
Sie deutet auf das Paket, das etwas weiter unten neben dem Gebüsch steht. Ich gehe vorsichtig hin, bin immer noch auf einen Angriff gefasst, beuge mich hinunter, lese: „Dr. Franz Hochleitner, Kirschengasse 21“. Auf der einen Seite ist ein Akku abgebildet, auf der anderen ein Rasenmäher.
„Ich konnte im Halbdunkel nicht erkennen, wer da unterwegs ist. Wir hatten diese Einbruchserie. Von hier aus könnte man einiges auskundschaften. Die meisten Häuser haben Wiesen und Obstgärten, die bis hier herauf reichen.“
„Ich wollte Sie eigentlich nur etwas fragen“, erwidere ich matt. Die Waffe wie einen ekligen Fremdkörper in der Hand. „Dann sind Sie immer weitergefahren und schließlich auf diesen Feldweg. Lange nach Dienstschluss. Und ich habe mir einiges … Es hat mit dem zu tun, was mir der Gerichtsvollzieher erzählt hat.“
Die Postlerin steht neben mir. „Warum haben Sie nicht einfach gerufen?“
„Ich … war mir nicht sicher, was Sie hier tun.“
Die Frau lächelt ein wenig. „War wohl ein beiderseitiges Missverständnis. Kommt von den ganzen Geschichten mit Einbrechern und so. Was hat der Gerichtsvollzieher erzählt? Hat es mit Evelyn Maier zu tun?“
Wie habe ich die Postbotin verdächtigen können? Oder ist sie doch verdächtig?
„Ich gebe zu“, meint die Frau, „ich könnte jetzt einen Schnaps vertragen. Ich wohne gleich hier den Hügel bergab. Wir brauchen nur den Weg nach unten zu gehen, dann kommt man von hinten zum Haus.“
„Und warum wollten Sie den Akku dann über den Feldweg herunterschleppen?“ Ein Rest Misstrauen ist immer sinnvoll.
„Weil mein Nachbar eine Mauer rund um sein Haus hat und ich keinen Schlüssel habe. Dahinter ist der Hügel mit den Gärten und Obstbäumen und dort steht auch die Scheune. Kommen Sie mit?“
Eine Viertelstunde später haben wir die Kiste mit dem Akku in der Scheune deponiert und sind durch das hintere Gartentor in das Haus der Postbotin gelangt. Mir ist bei der Vorstellung nicht wohl, noch einmal im Stockfinstern durch den langen Garten hinauf und von dort zum Feldweg zu müssen. Aber da steht mein Auto. Mira, wenn du schon so mutig bist, angeblich hochverdächtige mörderische Postlerinnen zu verfolgen, dann wirst du auch in der Nacht durch einen harmlosen Garten wandern können. Jetzt jedenfalls sitze ich erst einmal in ihrem Wohnzimmer und nehme einen kräftigen Schluck Himbeerbrand.
„Ist noch von meinem Mann“, erklärt sie.
Schon wieder einer, der vorzeitig ums Leben gekommen ist? Ich sollte wachsam bleiben, wenn ich älter werden will.
„Ist er …“, setze ich vorsichtig an.
Die Frau lacht. „Dem geht es prächtig. Der hat sich eine Jüngere gefunden, die kein Problem damit hat, ihn hinten und vorne zu bedienen. Zumindest noch nicht. Sind ja erst ein Jahr verheiratet. Aber er ist ein hervorragender Schnapsbrenner, das muss man ihm lassen. Sein Hobby, an sich ist er Lehrer.“
Ich erzähle ihr, was ich vom Gerichtsvollzieher erfahren habe. Sie reibt sich hin und wieder die Kniekehle und hört zu. Hoffentlich habe ich sie nicht verletzt. Sie bemerkt
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