Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
besten Gesangsstunden‘ “, hat sie einmal zu mir gesagt.
„Wann?“
Céline sieht mich müde an. „Warum? Ist das wichtig? Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
„Wann?“, beharre ich.
„Irgendwann in letzter Zeit, glaube ich. Es kann aber auch damals im Juli gewesen sein. Nein, ich glaube, es war am Telefon.“
„Kann es sein, dass du deiner Mutter nicht besonders genau zugehört hast?“ Wer bin ich, um solche Fragen zu stellen? Ich habe meiner Mutter mehr als einmal nicht zugehört, wenn sie mir am Telefon alles Mögliche erzählt hat, habe mir gedacht, es reicht, wenn ich sie reden lasse.
„Das kann schon sein“, sagt Céline kleinlaut.
„Und hast du ihr das mit den Gesangsstunden geglaubt?“, frage ich sanft.
„Natürlich nicht. Sie wollte einfach, dass ich weiß, dass sie für mich da wäre, wenn sie es könnte.“
Jetzt erzähle ich von meinem Gespräch mit dem Gerichtsvollzieher und Céline wird mehr und mehr aufgeregt: „Glaubst du wirklich, sie hat im Lotto gewonnen? Kann das sein? Müsste dann nicht der Schein irgendwo liegen? Sie hat gespielt. Sie hat regelmäßig zwei Quicktipps abgegeben in der Tabaktrafik bei der Schnellbahn, immer nachdem sie bei der Tante putzen war.“
„Du warst dabei, als Vesna das Haus durchsucht hat. Wir haben keinen Lottoschein gefunden. Und es sieht auch nicht so aus, als ob sie plötzlich Geld gehabt hätte.“ Evelyn hat also tatsächlich regelmäßig Lotto gespielt.
„Wie fürchterlich“, sagt Céline plötzlich. „Stell dir vor, Mama hätte gewonnen und dann stirbt sie, bevor sie etwas davon hat.“
„Und was, wenn dein Halbbruder am Tag, an dem sie ums Leben gekommen ist, doch bei ihr gewesen ist?“
Die junge Frau schüttelt den Kopf. „Das kann ich nicht glauben. Das trotz allem nicht. Das hat doch bloß diese Nachbarin erzählt. Vielleicht will die nur von sich ablenken. – Na ja, kann ich eigentlich auch nicht glauben. Jedenfalls haben sich Roger und Mama nur zu Weihnachten gesehen. Er hat auch so gut wie nie mit ihr telefoniert. Er wusste nichts von ihr, sie hätte es ihm nicht gesagt, wenn sie im Lotto gewonnen hätte. Sie hätte es mir gesagt.“
„Und was, wenn sie damit warten wollte, bis jemand von euch zu ihr kommt? Wenn sie darüber nicht am Telefon reden wollte?“
Céline starrt mich an. „Ich habe mir oft einen Bruder gewünscht, der anders ist. Aber ein Mörder ist Roger nicht. Das traue ich schon eher der Tante zu. Bei der war Mama ja einmal die Woche. Das soll jetzt natürlich keine Anschuldigung sein. Aber sie ist die gierigste Person, die ich kenne.“
„Hat dir deine Mutter übrigens erzählt, dass sie einen alten Freund wiedergetroffen hat?“
„Nein, ganz sicher nicht. Wer soll das sein?“
„Einer von den beiden, die mit ihr in der Band gespielt haben. Er ist inzwischen ziemlich vermögend.“
Céline überlegt. „Vielleicht hat sie das mit dem ‚Gewinn‘ gemeint. Sie konnte sich nicht mehr besonders gut ausdrücken, sie war … zu viel allein.“
„Sie sind einander zufällig begegnet, im Supermarkt, in dem deine Mutter auf dem Heimweg von Wien eingekauft hat. Sie wollte nicht mit ihm reden. Er war zweimal bei ihr, sie hat ihn nicht einmal ins Haus gelassen, sagt er.“
Céline schüttelt den Kopf. Durchsage, S-Bahn fährt ein. Céline zuckt zusammen. „Das ist meine. Danke. Wir telefonieren.“
[ 9. ]
Vesna hat noch in der Nacht versucht Roger zu finden. Er geht nicht ans Telefon. Er war nicht im Café „End“. Und der Besitzer war nicht bereit, ihr zu sagen, wann er zum letzten Mal da gewesen ist. Jetzt stehen wir vor der Spedition, in der Evelyns Cousine arbeitet. Wir wollen sie abpassen. Vesna hat herausgefunden, dass sie üblicherweise gegen halb zwölf das Büro verlässt und für sich und die Chefs Mittagessen holt. Doris Hampel ist Sekretärin. Die Firma ist nicht besonders eindrucksvoll. Am Stadtrand von Wien, dort, wo der Industriegrund schon einigermaßen günstig zu haben ist. Ein graues zweistöckiges Gebäude, daneben eine breite Einfahrt, das Metalltor ist offen. Auf dem Parkplatz zählen wir sechs Lkw mit der Aufschrift: „Prantner – Wir bringen’s schneller“. Ein Lkw hat eine grauschwarze unbeschriftete Plane.
Die Cousine kommt aus der Tür und sieht uns überraschend freundlich an. „Das Haus in Lissenberg gefällt Ihnen, ich habe es gewusst!“, sagt sie zu Vesna. „Wir können den Vertrag gerne verlängern. Bald ist der Monat um.“
„Haus ist Bruchbude“,
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