Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
trabe weiter in Richtung Oskars Anwaltskanzlei und drücke die Empfangstaste.
„Willst du gute oder schlechte Nachricht zuerst?“, fragt Vesna.
Ich finde, das fängt insgesamt nicht gut an, und schweige.
„Also gute zuerst: Die Baumtäter habe ich überführt. Fall ist jetzt bei der Polizei.“
„Wer war es? Wie hast du das geschafft?“ Manchmal vermittelt mir Vesna den Eindruck, als ginge ich ein wenig spazieren, während sie schon wieder drei Dinge gleichzeitig erledigt.
„Ich habe mir schon gedacht, dass da jemand von Stadtverwaltung mitspielen muss. Wie sonst kann Täter immer gewusst haben, wo Baumschneider als Nächstes unterwegs ist? Habe ich also nachgesehen, wer für diese Sachen zuständig ist. Und dann habe ich mit Jana und Slobo überprüft, mit wem sich die Leute in Freizeit treffen. Einer, ich nenne keinen Namen, hat sich letzte Tage jeden Tag mit Besitzer einer Gärtnerei getroffen. Die haben nicht nur Blumen, die machen Landschaftsgestaltung und so. Und sie haben im letzten Jahr gleich zwei große Krane und alles mögliche andere Zeug für Baumschnitt im verbauten Gebiet angeschafft. Aber viele private Aufträge sind ausgeblieben. In der Krise dürfen Bäume weiterwachsen. Und dann hat ihnen mein Kunde auch noch viel von Geschäft mit der Stadt Wien weggeschnappt. Und weil Drohungen nichts geholfen haben, ist Gärtner mit einem Zweiten in der Nacht ausgerückt und hat Bäume angesägt. Gestern sie haben besonders Böses vorgehabt: Baumschneider sollte hohe Tannen, die vom letzten Sturm schief waren und vielleicht auf ein Wohnhaus fallen, von Wipfel nach unten Stück für Stück abschneiden. Sie haben lockere Wurzeln mit einem ganzen Tank Wasser bespritzt und ein paar angeschnitten. Er steigt hinauf, das Gewicht wird zu schwer, die lockeren Wurzeln kommen aus der Erde, der Baum fällt. Aber wir haben sie beobachtet. Und wir haben Fotos. Auch von Treffen zwischen Beamten und Gärtner.“
Ich bin hinreichend beeindruckt und stehe beinahe schon vor Oskars Kanzlei. „Und die schlechte Nachricht?“
„Ich fürchte, Hans Tobler ist verdächtig.“
„Sieht doch jetzt eher so aus, als hätte der Tod von Evelyn nichts mit ihrer Vergangenheit zu tun“, gebe ich zu bedenken.
„Er ruft dauernd an. Er ist nervös. Er will wissen, was wir wissen.“
„Hast du ihm irgendwas von dem Gewinn gesagt?“, frage ich.
„Kein Wort. Ich habe da so eine Idee: Was, wenn sein Geschäft gar nicht so gut lauft, wie es wirkt? Vielleicht kaufen jetzt viel weniger Menschen amerikanische spritfressende Schlitten? Er kann sich ja doch mit Evelyn getroffen haben. Möglich, dass er ihr wirklich helfen wollte. Aber sie lacht ihn aus und sagt, sie hat jetzt Geld genug. Und sie erzählt von Lottoschein. Er sagt, man kann gemeinsame Sache machen, sie kann bei ihm investieren. Sie will nicht. Sie streiten. Er stoßt. Sie fallt. Und der Lottoschein gehört ihm.“
Ich überlege. „Was hat Zuckerbrot gesagt? Wenn Evelyns Familie zu Geld gekommen wäre, hätten sie es sicher gleich ausgegeben. Sie haben nichts, also fiele es schnell auf, wenn sie plötzlich etwas hätten. Wenn Tobler, sagen wir einmal, eine Million abstaubt, dann fällt das nicht auf.“
„Eben“, sagt Vesna beinahe traurig.
Der Maybach-Besitzer, der der Sozialhilfeempfängerin den Lottoschein klaut? Sie haben vor langer Zeit gemeinsam bei null angefangen. Sie sind einander nahegestanden. Mit oder ohne Geld. Trotzdem …
Vesna scheint Ähnliches zu denken. „Jedenfalls bin ich sicher, er verheimlicht was. Er ist selbst schuld, wenn wir solche Ideen haben. Ich habe schon überlegt, wie ich in sein Büro komme …“
„Vorgestern hast du noch mit ihm geflirtet“, erinnere ich sie.
„Du meinst … ich sollte ihn einfach … weiter beflirten?“
„Ich hab eigentlich gemeint, dass er dir vorgestern noch ganz gut gefallen hat.“
Vesna seufzt. „Man muss Realität ins Auge schauen, und gerade weil ich einen Draht habe zu ihm, weiß ich: Der hat Geheimnis. Und er will nicht, dass wir dahinterkommen. Auch wenn er tut, als ob ich aufklären soll.“
„Sein Büro wird mit Sicherheit überwacht. Und du hast gesehen, wie geschult seine Mitarbeiter sind. Man kommt sicher nicht einfach mit einer faulen Ausrede an seinen J.R.-Schreibtisch. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht wissen, wonach wir eigentlich suchen.“
„Das ist richtig“, sagt Vesna überraschenderweise. „Es wäre schon viel geholfen, wenn wir mehr über Vermögenssituation wissen.
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