Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Wenn er genug Geld hat, er braucht Lottoschein nicht.“
Jetzt stehe ich vor dem hohen Innenstadthaus, in dem Oskars Kanzlei untergebracht ist. Peinlich, wenn er gerade rauskommt. Oder sein Sekretärinnendrachen. Das sähe fast so aus, als würde ich ihm nachspionieren. „Vesna, ich habe einen Vorschlag. Wir werden uns mit Tobler treffen und ihn einfach fragen, was er verheimlicht. Wer weiß, ob an der Sache mit dem Lottoschein überhaupt etwas dran ist. Ich stehe jetzt vor Oskars Kanzlei. Ich sollte rein…“
„Das ist es!“, ruft Vesna. „Hast du nicht gesagt, Oskar findet es gut, wenn man nach Tod von Sozialhilfeempfängerin nicht wegsieht?“
„Er hat da mehr an den sozialen als an den kriminalistischen Aspekt gedacht“, gebe ich zu bedenken.
„Er ist der, der uns kann helfen! Niemand weiß, dass er dein Mann ist. Zumindest Hans Tobler nicht. Ihr habt andere Namen. Und wenn seriöser Wirtschaftsanwalt kommt, dann man traut ihm zu, dass er teures Auto kauft. Man plaudert, Oskar ist geschickt, er kann ihn aushorchen, wie Geschäfte gehen.“
Ich überlege. „Ich glaube nicht …“
„Ich bin ganz sicher. Carmen kann ihn begleiten. Als junge Freundin.“
Wird ja immer besser. Aber es hat schon was. Der Autohändler wiegt sich in Sicherheit. Oskar wirkt gemütlich und gutmütig, aber er kann ganz schön gerissen sein. Habe ich bei einigen Prozessen schon miterlebt. Wenn er ihn aushorcht … und sei es nur, damit wir einen Verdächtigen abhaken können. Zumindest was das Geldmotiv angeht. Eigentlich seltsam: Zu Beginn hatten wir keinerlei Motive, keinerlei Verdächtige. Und jetzt sieht es schön langsam so aus, als hätten wir von beidem mehr als genug. Zumindest wenn unsere Spekulationen einen Sinn ergeben.
Oskar freut sich zwar, dass ich ihn überrasche, aber eigentlich hat er gar keine Zeit. In dreißig Minuten komme ein Klient. Nach ihm müsse er ganz dringend einige Unterlagen für die große Fusion durcharbeiten und am Abend sei das Meeting der Rechtsanwaltskammer. Davon hat er mir erzählt, ich hab es einfach vergessen. Ich muss so enttäuscht dreinsehen, dass er meint, wie es denn mit Sushi in seinem Büro wäre, zur Not werde er den Klienten zehn Minuten warten lassen. Ich nicke. Gleich ums Eck ist eine wirklich gute Sushi-Bar. Er greift zum Telefon und wählt. Nummer der Sekretärin? Für die hat er wohl eine Kurzwahltaste. Oskar hat ein bewunderungswürdiges Zahlengedächtnis. Er hat die Nummer der Sushi-Bar gewählt und bestellt und bittet, möglichst rasch zu liefern, ausnahmsweise. „Meine Frau ist schrecklich hungrig.“ Das klingt, als wäre ich ein Hundertfünfzig-Kilo-Monster.
Es dauert keine zehn Minuten und die Sushi sind da. Oskar hat in der Zwischenzeit zweimal telefoniert – kann er seinem Drachen nicht sagen, dass sie keine Gespräche durchstellen soll, wenn ich da bin? Aber wahrscheinlich macht sie das gerade extra, sie kann mich nicht leiden – und gleichzeitig zwei Gläser, eine Flasche Mineralwasser und eine Flasche weißen Rioja aus seinem kleinen Kühlschrank auf den Besprechungstisch gezaubert. Wir setzen uns auf die Schwingledersessel, die ich so mag. Wie sage ich es ihm? Aber ich muss. Ich habe es Vesna versprochen. Ich fange viel zu kompliziert an und erzähle ihm, dass mich Vesna, gerade als ich vor seiner Tür gestanden sei, angerufen habe. Er soll ja nicht annehmen, ich wäre bloß gekommen, um ihn für unsere Ermittlungen einzusetzen.
„Wenn man nur wüsste, wie es wirklich um die Finanzen von Tobler steht“, sage ich nach einem Sushi mit Garnele und viel Wasabi.
Er sieht mich misstrauisch an. „Das weiß wohl nicht einmal das Finanzamt.“
„Ja, aber jemand, der geschickt und erfahren ist, der könnte schon rausfinden, wie seine Geschäfte momentan laufen. Jemand, dem er auch zutraut, dass er sich eines seiner teuren US-Autos leisten kann. Jemand, den er nicht kennt und von dem er nicht annimmt, dass er mit Vesna und mir in Verbindung steht.“
Oskar sieht mich an. „Nein“, sagt er dann.
„Wir haben doch unterschiedliche Namen“, versuche ich ihn zu überzeugen. „Du brauchtest dich nur für ein Auto zu interessieren und ihn dabei ein wenig auszufragen. Du kannst so was, ich weiß das!“
Ich nehme ein Sushi mit Butterfisch und diesmal zu viel Wasabi. Ich unterdrücke ein Husten. Aber es treibt mir Tränen in die Augen.
Oskar legt seine Hand auf meinen Arm. Mit einem Mal ist er ganz sanft. „Was ist dir daran so wichtig, Mira? Das geht
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