Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
warum mich Oskar den ganzen Tag wie ein übergroßer liebeskranker Kater umschlichen hat.
„Ist noch jemand dabei?“, zwitschere ich.
„Ach“, sagt er, „wenn du es schon ansprichst: Ich habe mir gedacht, wir könnten Mutter dazubitten. Damit sie endlich Carmen kennenlernt.“ Die arme Carmen soll also der Hofratswitwe zum Fraß vorgeworfen werden. Ich weiß, dass Oskar Monate gebraucht hat, seiner Mutter zu gestehen, dass er eine außereheliche Tochter hat. Dass sie Schweizerin ist, in einem Nobelinternat erzogen wurde und bereits zwei Studien abgeschlossen hat, dürfte Frau Kellerfreund aber milde gestimmt haben. Trotzdem hat es bis jetzt keine Begegnung der Dritten Art gegeben. Sei nicht boshaft, Mira. Die Hofratswitwe ist nur etwas … anders. Aber sie ist an sich ein reizender Mensch. Und sie ist Oskars Mutter. Und er hat ohnehin, einmal abgesehen von den monatlichen gemeinsamen Kaffeehausbesuchen, keinen regelmäßigen Kontakt mit ihr. Sie hat ja auch ihren Bridgezirkel. Und ihr Musikvereinsabonnement. Und macht ihre Kuren bei irgendwelchen Klosterschwestern im Burgenland. Ich lächle Oskar, so gut es geht, an. „Warum nicht?“, sage ich und denke bei mir: Arme Carmen, ob sie es schon weiß?
Carmen hat es eindeutig nicht gewusst. Aber sie hat Bildung, ist wohlerzogen und hält sich tapfer. Als sie beim Kalbsrücken mit Morchelschaum gesteht, dass sie nur deshalb ins Internat bei St. Moritz gehen konnte, weil sie so gute Noten hatte, tätschelt ihr Oskars Mutter sogar die Hand.
„Nicht Reichtum ist wichtig, sondern was man im Kopf hat“, sagt sie. „Und dass man es auch zu nützen versteht.“
Der Sonntagabend endet in der „Roten Bar“. Oskar hat seine Mutter, ganz fürsorglicher Sohn, bis an die Wohnungstür begleitet. Jetzt stehen Carmen, Oskar und ich an der Theke und stoßen miteinander an. Oskar trinkt irgend so einen Malt Whisky, der mir viel zu rauchig ist. Ich habe Jameson im Glas, und da ich mich jetzt besser auskenne, habe ich nach dem zwölfjährigen verlangt. Carmen trinkt Prosecco. Oskar scheint erleichtert zu sein, dass dieser Abend friedlich und harmonisch verlaufen ist. Was hat er geglaubt? Wir sind doch zivilisierte Menschen. Wenn auch vielleicht nicht ganz so zivilisiert wie seine Mutter. Wir bestellen noch eine Runde. Eine zufriedene, nicht mehr ganz nüchterne kleine Familie.
Am Montagmorgen mache ich mich auf zum Haus von Christian Osthof. Ob sein Vater ihm schon von unserer Begegnung erzählt hat? Oder will der Exminister unseren Besuch einfach vergessen und vertraut darauf, dass er uns ausreichend klargemacht hat, welche Konsequenzen es haben würde, wenn wir fünfundzwanzigjährigen Staub aufwirbelten? Wie nahe stehen sich Vater und Sohn Osthof?
Eine nette, keinesfalls protzige Villa in Hietzing. Hellgelbes einstöckiges Gebäude aus der Zeit der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Grüne hölzerne Fensterläden. Dichte Thujenhecke rund um das Grundstück. Schmiedeeisernes Gartentor. Ich spähe durch das Tor und halte Ausschau nach einem Hund. Hier würde ein Setter oder besser noch ein Golden Retriever herpassen. Vielleicht auch ein Portugiesischer Wasserhund. Ist ja durch sein Herrl, den amerikanischen Präsidenten, ziemlich populär geworden. Kein Bellen zu hören, kein Schweifwedeln zu sehen. Neben der Klingel kein Name. Ich bin verunsichert. Was soll’s, wird schon das richtige Haus sein. Professor Wirtschaftsmeinungsforscher Osthof legt eben keinen Wert darauf, dass jeder weiß, wer hier wohnt. Ich läute und das Gartentor geht mit einem Summen auf. Natursteinweg hin zum Haus, einige Treppen nach oben. Die Eingangstür ist einen Spalt geöffnet. Da steht nicht Osthof, sondern eine jüngere Frau. Sie starrt mich an. Panik im Blick. Oder wirkt das nur so, weil sie über einem Auge einen kaum verheilten Cut hat?
„Ich wollte zu Herrn Professor Osthof“, sage ich entschuldigend. „Offenbar habe ich mich im Haus …“
Die Frau versucht ein Lächeln. „Das ist mein Mann. Bringen Sie ihm etwas vom Institut?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich habe ein Interview mit ihm gemacht und hätte noch ein paar Fragen. Dr. Klein hat mich hergeschickt, er hat gesagt, Professor Osthof arbeite momentan zu Hause.“
Die Frau nickt. Schlank, durchtrainiert, mittelgroß, etwas über dreißig Jahre alt. Blonde Haare, die zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden sind. Keine Schminke. „Das stimmt. Er arbeitet an einer wichtigen Studie. Da will er nicht
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