Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
er wirklich eine Freundin hat? Ich drehe mich schlaftrunken auf die andere Seite. Meine Hand berührt Oskars Oberarm. Stark und zuverlässig. Heute werde ich mich weder um Krisengewinner noch um Lebensverlierer kümmern. Heute habe ich frei. Ich stupse Oskar leicht, aber er grunzt nur irgendetwas Freundliches. Wir haben jede Menge Zeit. Zumindest heute. Zeit. Das Kostbarste. Außer man hat zu viel davon. Evelyn hat immer nur ferngesehen. Seltsam, in der Lade waren DVDs, dabei hatte sie gar keinen Player. Vielleicht hat sie einmal einen gehabt und der Gerichtsvollzieher hat ihn ihr weggenommen. Du kannst das jetzt nicht ändern, Mira. Gutes Leben: Hat es mit Glück und Pech oder mit Tüchtigkeit zu tun? Wohl mit allem. Was wäre, wenn Evelyn wirklich einen Lottosechser gemacht hätte? Wenn sie nicht ums Leben gekommen wäre? Was, wenn sich Hubert damals nicht die Pulsadern aufgeschnitten hätte? Vor fünfundzwanzig Jahren … da habe ich gerade mein Jus-Studium fertig gemacht. Danach bin ich nach New York. Kann das so lange her sein? Ich gähne. In fünfundzwanzig Jahren bin ich zweiundsiebzig. Wie kurz so ein Leben ist. Vesna ist dann schon fünfundsiebzig. Ich sollte etwas Nettes für ihren Geburtstag planen. Ich drücke mich an Oskar und schlafe wieder ein.
Den Tag über hält mich Oskar davon ab, irgendwas anderes zu tun, als das Leben zu genießen. Wir bleiben bis gegen Mittag im Bett. Wir zelebrieren einen Brunch, der sich bis drei am Nachmittag hinzieht. Um fünf habe ich die Wochenendzeitungen sowie die „Zeit“ durch. Und da ich mich nicht darüber ärgern will, dass ich das Kreuzworträtsel nicht ganz lösen kann, versuche ich es erst gar nicht. Sudokus haben bei mir ohnehin keine Chance, ich mag Wörter viel lieber als Zahlen. Oskar überlegt wieder einmal, ob wir nicht einen offenen Kamin einbauen lassen sollen, jetzt, wo es auf den Winter zugeht. So einen, in dem man auch grillen kann.
„Willst du lieber eine Tasse Tee oder ein Glas Prosecco?“, fragt er und streichelt mir sanft über den Rücken. Gismo liegt neben mir auf dem Sofa und schnurrt. Wenn ich wüsste, wie das geht, ich würde es auch tun. „Was machen wir eigentlich heute Abend?“, antworte ich faul.
„Ich bringe uns ein Glas Prosecco“, sagt er etwas rasch.
Ich setze mich auf. Hat seine Fürsorge womöglich nicht nur damit zu tun, dass Sonntag ist und wir seit Langem wieder einmal Zeit haben, einen ganzen Tag miteinander zu verbringen?
Er bringt die Gläser, drückt mir eines in die Hand, prostet mir zu.
„Köstlich“, sagt er und lächelt mich an.
Ich bin alarmiert. Da ist etwas im Busch. Oskar ist ein ganz schön cleverer Typ, ich würde nie ausschließen, dass er mir hin und wieder auch etwas vorspielen kann. Jetzt ist Idylleninflation. Was heißt, dass er irgendwas möchte. Oder sich schwertut, irgendetwas zu erzählen. – Hat er womöglich wirklich einen Oldtimer gekauft? Hielte ich für unvernünftig, aber es ist sein Geld. Außerdem hätte er ihn mir wohl doch sofort gezeigt. Ich ziehe Oskar zu mir auf das Sofa. Er lässt sich mit einem zufriedenen Gurren fallen, das eigentlich zu einer Taube gehört und nicht zu einem Eins-dreiundneunzig-Meter-Mann.
„Was machen wir heute Abend?“, frage ich noch einmal, so sanft wie möglich.
„Überraschung, Miramaus.“
Wenn er mich Miramaus nennt, ist etwas oberfaul. Ich weiß schon, warum ich diesen angeblichen Kosenamen nicht leiden kann.
„Sag schon“, hake ich nach. Es klingt bereits weniger sanft.
Oskar schnauft ein wenig, dann sagt er: „Wir könnten essen gehen, mit Carmen, wenn dir das recht ist.“
Das hat mir wohl recht zu sein. Wobei ich sicher bin, dass ihm diese Idee nicht spontan gekommen ist. „Du hast schon reserviert?“, frage ich.
„Ich, ich habe kurz angerufen, nur auf Verdacht“, murmelt er. „Im Restaurant ‚Sensor‘, da ist jetzt ja dieser großartige Koch vom ehemaligen ‚Meinl am Graben‘. Und es hat überraschenderweise am Sonntag offen. Ich denke, wir sollten Carmen auch einmal ein Stück Wiener Spitzengastronomie zeigen.“
Seltsam, üblicherweise sind Oskar Wiens Nobellokale ein wenig zu fein. Zu viele perfekte Kellner. Zu anstrengend. Und wenn doch, geht er am liebsten ins „Steirereck“. Das hat Sonntag zu. Na ja, eigentlich ist es eher das Lokal seiner Mutter, wenn etwas ganz Besonderes angesagt ist. Das letzte Mal waren wir dort, als sie ihre Vermögenslage … Mir kommt ein Verdacht. Und dieser Verdacht würde erklären,
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