Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Keyboard, Typ Alleinunterhalter. Evelyn dürfte sich das Foto immer wieder angesehen haben. Die Zeitungsseite ist abgegriffen und hat zwei große Fettflecke. Ich blättere Zeitungsausschnitt für Zeitungsausschnitt konzentriert durch, zwischen den Blättern könnte man einen Lottoschein sehr gut verstecken. Stattdessen stoße ich auf einen Artikel aus dem „Blatt“, der immerhin größten, wenn auch nicht eben seriösesten Tageszeitung im Land. Ein grinsender junger Mann hält vier Medaillen in die Kamera. Die Bildunterschrift lautet: „Roger Maier räumt ab!“ Im Text kann ich lesen, dass Roger Maier aus Floridsdorf in seiner Gewichtsklasse alles gewonnen hat, was man im Gewichtheben in Österreich gewinnen kann. Und dass es ganz so aussieht, als würde er in zwei Jahren das Limit für die Olympischen Spiele schaffen. Auch auf diesem Ausschnitt befindet sich ein Fettfleck voll Mutterliebe.
„Was würdest du mit so viel Geld machen, Mira Valensky?“, fragt Vesna vom Schlafzimmer her. – Was würde ich machen? Momentan fällt mir eigentlich nichts ein. Weil ich so zufrieden bin? Das ist übertrieben. Weil ich ohnehin alles habe? Im Verhältnis zu Evelyn Maier stimmt das sicher. Und was Geld anbelangt, so habe ich zumindest so viel davon, dass ich ordentlich leben kann. Nicht schwierig, dann zu behaupten, dass Geld nicht entscheidend sei. Geld scheint vor allem für die Armen und für die Reichen besonders wichtig zu sein. Und für die Gierigen, für die immer.
„Wir wissen ja gar nicht, ob nicht abgeholter Lottoschein wirklich von Evelyn ist. Jedenfalls: Jemand von meinen Leuten soll nachschauen, ob Roger in letzter Zeit Geld hat“, sagt Vesna. Ich gehe zu ihr hinüber und zeige ihr den Zeitungsausschnitt.
„Hat er Gewichtheben gemacht und wieder damit aufgehört“, ist ihre lapidare Antwort. „Die Frage ist: Kann er Chancen nicht nutzen, will er nicht oder hat er Pech gehabt? Und: Was hat das mit ihm getan?“ Dann schließt sie die Lade am Fuß des Kastens, und Bettzeug, Decke, DVDs sind wieder verwahrt. Für wen? Wie lange? Sieht nicht aus, als ob sich irgendjemand für die paar Habseligkeiten von Evelyn interessieren würde. Vor allem wenn kein Lottoschein dabei ist.
Zwei Stunden später haben wir auch den Schuppen und das Kellergewölbe, selbst das Plumpsklo gründlich durchsucht. Vesna hat einen spitzen Schrei ausgestoßen, als sie die tote Ratte gesehen hat. Ich habe mich richtig mutig gefühlt, das Tier mit der Mistgabel aufgehoben und ins Gebüsch geworfen. Sieht überhaupt nicht schlimm aus, so eine tote Ratte. Besonders im Vergleich dazu, wie sie sich im Finstern anfühlt. Gefunden haben wir, abgesehen von den wenigen Spuren aus Evelyns Leben, nichts.
Das Institut ÖKO-POP liegt so gut wie auf unserem Weg ins Stadtzentrum. Nicht anzunehmen, dass am späten Samstagnachmittag noch jemand da ist. Aber wir könnten immerhin einen Blick drauf werfen. Ich programmiere mein Navi, und Vesna mokiert sich über die seltsame Computerstimme. Ich nenne sie Susi. Und Susi führt uns sicher zur eingegebenen Adresse. Ein schicker Bau. Weiß und Glas, quadratisch, zweistöckig, sicher noch keine zehn Jahre alt. Ein Parkplatz vor dem Haus, im ersten Stock sind tatsächlich einige Fenster erleuchtet.
„Kann auch eine Putztruppe sein“, sage ich zu Vesna.
„Samstagabend?“, kommt es zurück. „Ist sehr unwahrscheinlich.“
Und bevor ich es noch verhindern kann, läutet sie.
„Ja?“, schnarrt eine Stimme aus der Gegensprechanlage. Ich könnte nicht einmal sagen, ob sie von einer Frau oder von einem Mann stammt.
„Mira Valensky. Vom ‚Magazin‘. Ich habe mit Herrn Professor Osthof ein Interview gemacht. Ist er zufällig da?“
„Tut mir leid, er arbeitet am Wochenende zu Hause. Und wahrscheinlich am Montag auch noch. Es geht um eine wichtige Studie, ich fürchte, er wird wenig Zeit haben.“
„Danke vielmals“, sage ich höflich. „Mit wem habe ich gesprochen?“
„Klein. Dr. Klein.“ Klingt tatsächlich nicht nach einer Reinigungskraft. Wobei: Was weiß man in Zeiten wie diesen?
[ 11. ]
Sonntag. Endlich ein Tag, an dem ich so richtig lange schlafen kann. Neben mir liegt Oskar und schnarcht leise und zufrieden vor sich hin. Ich räkle mich, sehe auf die Uhr. Erst sieben in der Früh. Fünfzig ist er vor gar nicht so langer Zeit geworden, dafür sieht er viel zu jung aus. Finde zumindest ich. Als Liebhaber ist er jedenfalls noch gar nicht alt. Was wohl mit Vesna und Valentin los ist? Ob
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