Everlasting
Japan passiert ist», sagte Eliana.«Fukushima war noch Wochen nach dem Erdbeben ohne Strom. Das könnte doch auch in einem Gendepot passieren, oder nicht? Und dann würden die ganzen gefrorenen Zellen, unsere Zukunft, einfach wegschmelzen und sterben.»
Sie konnten ja nicht ahnen, dass genau das während des Dark Winter passiert war.
«Aber du kannst deine DNA digital sichern», sagte Robert und ging zum Kühlschrank. «Du kannst sämtliche Informationen auf einem Mikrochip speichern und irgendwo sicher lagern, für die Nachwelt. So ein Ding ist rosinengroß. Oder noch kleiner. Linsengroß. In ein paar Jahren sogar noch kleiner.» Er holte eine Flasche aus dem Kühlschrank. «Du musst nur ein sicheres Plätzchen dafür finden und jemandem verraten, wo der Chip ist, damit sie dich dann wieder ins Leben zurückholen können. Wir müssen bloß ausklamüsern, wie man Erinnerungen runter- und wieder raufladen kann, dann läuft das. Unsterblichkeit, wir kommen.»
Roberts Worte klangen mir in den Ohren, als enthielten sie eine wichtige Botschaft, die decodiert werden musste. Ich wollte weiter darüber nachdenken, doch dann lenkte mich etwas ab.
Folgendes geschah:
Robert stand noch neben dem offenen Kühlschrank. Er wollte gerade die Tür schließen, als Lisa das Milchkännchen hochhielt. «Moment, Flo», sagte sie. «Kannst du noch etwas Milch nachfüllen?»
Robert nahm die Milch aus dem Kühlschrank und goss etwas in das Kännchen.
Flo?
Der Name gellte mir förmlich in den Ohren.
«Flo?», fragte ich.
Robert verdrehte die Augen und reichte Lisa das Kännchen. «Mein zweiter Vorname. Florian. Robert Florian Lorenz.»
«Das ist ein sehr schöner Name», sagte Angelika und betupfte sich die Lippen mit einer Serviette.
Lisa gab Robert einen Kuss auf die Wange und sah dann mich an. «Ich sage immer Flo zu ihm. Mein Bruder heißt auch Robert. Und ich find’s einfach komisch, meinen Freund mit dem Namen meines eigenen Bruders anzusprechen. Also sage ich Flo.»
Ich hörte ihr kaum mehr zu. Ich hatte nicht die Kraft dazu. Ich brauchte meine ganze Energie, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Plötzlich fügte sich alles zusammen: der Holztisch im Geräteschuppen. Das Onyx-Kästchen. Der Bernsteinring. Robert als Segler. Flo.
War es möglich, dass Robert Lorenz mein Urahn Florian Lawrence war?
Ja. Es war möglich.
Und könnte es sein, fiel mir dann ein, dass Lisas vollständiger Name Alisa war, Alisa wie die erste Frau von Florian Lawrence?
Ich malte es mir so aus: Bei Ausbruch des Dark Winter würde Robert Deutschland mit dem Onyx-Kästchen verlassen, mit Lisa den Ozean überqueren, sie aber würde unterwegs sterben. Jahre später, in Amerika, würde Robert, der sich jetzt Florian nannte, seinen Nachnamen amerikanisieren, den Walnussholztisch bauen, heiraten, sich niederlassen und eine Familie gründen. Meine Familie.
Robert Lorenz war mein Vorfahre.
22 Das Geschenk
Sonntag, 7. August 2011. Fast wäre ich nicht aus dem Bett gekommen. Es war eine Mischung aus Zeitlag und Overkill. Gewaltige Fragen lasteten auf mir, Fragen, die derartig kompliziert zu beantworten waren, dass es mich schon sämtliche Energiereserven kostete, sie nur zu stellen: Was genau war eigentlich meine Mission im einundzwanzigsten Jahrhundert? Hatte die Entdeckung der Ursprünge meiner Familie etwas mit meiner Mission zu tun? Es schien, als wären die Schritte, die ich in meinem Leben gegangen war – und die Schritte, die meine Ahnen vor mir gegangen waren –, einer komplizierten Choreographie durch die Zeit gefolgt, die wir ahnungslos tanzten. Wohin würde dieser Tanz die Familie Lorenz führen – und mich?
«Finn?» Eliana rüttelte mich. «Finn?»
Ich schlug die Augen auf, brauchte aber einen Moment, bis ich klar sehen konnte. «Guten Morgen.»
Sonnenlicht durchflutete das Zimmer, Lichtflecken umflirrten uns im Rhythmus der Brise, die durch die wehenden Gardinen drang. Blätter raschelten an den Bäumen vor dem Fenster. Eliana zog ihr Kleid aus und schlüpfte unter die Decke. «Morgen? Es ist fast Mittag. Und es ist unser letzter Tag hier.»
Ich schaute blinzelnd auf die Uhr. Es war 10.43 Uhr. «Isst du immer so früh zu Mittag?»
Sie lachte und zog mich an sich. Ihr Körper war warm. Wir küssten uns. Ich würde niemals genug davon bekommen.
«Du bist vor Mitternacht eingeschlafen», sagte sie, «bevor ich dir zum Geburtstag gratulieren konnte.»
«Tatsächlich? …»
Ich sah, wie ihr Haar im Gegenlicht
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