Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Polizei nicht Kaileys Telefonnummer verraten, weshalb ich rasch Google Voice herunterlade und auf ihrem Telefon eine zweite Leitung mit einer anderen Nummer installiere. Dann werfe ich ein paar Münzen in den Fernsprecher und wähle die Nummer der Polizei.
Nach dreimal Läuten antwortet eine muntere Frauenstimme.
Ich hoffe, dass ich das Richtige tue, und spreche tiefer, damit ich etwas älter klinge. »Hallo, ich möchte ein Auto als gestohlen melden.«
Dann gebe ich die Einzelheiten durch – Nummernschild, den falschen Namen, unter dem ich das Auto gekauft habe, der Ort, an dem es gestohlen wurde, sowie die neue Nummer auf Kaileys Handy. Während ich spreche, höre ich die Frau mittippen.
»Ich würde mir keine allzu großen Hoffnungen machen«, warnt sie mich. »Gestohlene Wagen tauchen selten wieder auf. Die Diebe tauschen normalerweise die Nummernschilder aus oder lassen es innerhalb von Stunden in einer Werkstatt ausschlachten. Aber wir rufen Sie an, wenn wir etwas herausfinden.«
Ich danke ihr, lege auf und gehe zu Kaileys Haus, während meine Gedanken rasen. Ich brauche das Auto nicht zurück, aber ich muss unbedingt Taryn aufscheuchen. Dass sie meinetwegen vielleicht verhaftet wird, tut mir leid, aber sie hätte nun mal nicht meine Tasche und mein Auto klauen dürfen.
Ein paar Blocks vom Haus der Morgans entfernt höre ich, wie jemand Kaileys Namen ruft. Ich drehe mich um und sehe eine vertraute Gestalt hinter mir. Noah führt seinen Hund aus. Als die beiden näher kommen, knurrt Harker mich wieder an, doch dieses Mal knie ich mich vor ihn hin und kraule ihn unter den Ohren.
»Alles okay, Harker«, murmele ich und spüre sein weiches Fell. Schließlich beruhigt sich der Hund. Wir scheinen einen vorübergehenden Waffenstillstand geschlossen zu haben.
»Ich weiß nicht, warum er das immer noch macht«, sagt Noah.
Unsere Blicke begegnen sich, seine Augen sind so blau wie die Karibik.
»Er beschützt dich nur.« Ich stehe auf, und wir schlendern gemeinsam die Straße entlang. Etwas muss ich unbedingt noch wissen, und ich atme tief ein, bevor ich frage: »Warum gehst du morgens immer ohne mich in Bio?« Ich sehe ihn nicht an, sondern betrachte die Bäume und wie die letzten kräftigen Sonnenstrahlen sie vor dem Himmel beleuchten.
Sein Lachen überrascht mich. Es klingt warm. »Kailey, du hast mir deutlich zu verstehen gegeben, dass unsere Freundschaft nur außerhalb der Schule existiert. Ich bin nicht derjenige, der dich ignoriert.«
Verlegen blicke ich zu Boden. So langsam wird mein Bild von Kailey klarer. Sie war … kompliziert. Phantasievoll und künstlerisch begabt, mit vielen Freunden, denen etwas an ihr lag. Aber sie war auch manipulativ, wenn sie ihren Freundinnen wirklich verboten hat, mit ihrem Bruder zu sprechen. Und jetzt das.
»Es tut mir leid«, sage ich leise.
Noah zieht eine kleine Digitalkamera aus der Hosentasche und richtet sie auf mich.
»Was machst du da?«, frage ich mistrauisch.
»Diesen Moment für die Nachwelt bewahren.« Er grinst und drückt auf den Auslöser. »Ich kann mich nicht erinnern, wann Kailey Morgan sich das letzte Mal für etwas entschuldigt hat. Das ist ein historischer Moment.«
Wir kommen an einem Haus mit offenen Fenstern vorbei, die die kühle Brise in die Räume lassen. Dahinter spielt jemand Klavier. Noah bleibt mit zur Seite geneigtem Kopf stehen. »Ich liebe dieses Lied.«
»Es ist der zweite Satz der Pathétique-Sonate«, erkläre ich automatisch. Beethoven ist einer meiner Lieblingskomponisten.
Er sieht mich erstaunt an. »Irgendetwas ist definitiv anders an dir. Versteh mich bitte nicht falsch – es gefällt mir.«
Ich versteife mich, während ein leichter Wind, wie es ihn nur nach einem Sturm gibt, die Noten verweht. Noah sieht mich immer noch an. Aus irgendeinem Grund muss ich an Cyrus’ eisblaue Augen denken. Die von Noah sind ganz anders.
»Los, gehen wir weiter«, sage ich schließlich und gehe ein wenig auf Abstand, während wir weiter die Straße entlangschlendern. Unsere Schatten erstrecken sich lang vor uns in dem orangefarbenen Licht, eine optische Täuschung, die die Entfernung zwischen uns sehr klein erscheinen lässt.
Wir erreichen ein Antiquitätengeschäft, dessen Schaufenster Noah betrachtet. Es ist vollgestopft mit Dingen – alten Büchern, Teetassen, Musikinstrumenten. Ein kleines handgeschriebenes Schild in der Fensterecke weckt meine Aufmerksamkeit: AUSHILFE GESUCHT. Nachdenklich bleibe ich stehen.
»Glaubst du,
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