Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Freundinnen mit deinem Bruder ausgehen. Das würde ich auch nicht wollen. Viel zu kompliziert.« Der beklommene Unterton in ihrer Stimme entgeht mir nicht, wenn sie über Bryan spricht.
Wieder einmal muss ich an Charlotte denken – wie sie Sébastien immer heimlich Blicke zugeworfen hat, wie die beiden sich angelächelt haben, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. »Vielleicht war das aber auch falsch von mir.«
»Nein, nein, ist schon okay, Kailey. Mach jetzt bloß keinen Rückzieher.« Sie lächelt, kann mir aber nicht in die Augen sehen.
»Ich … ich will niemanden kontrollieren. Und es tut mir leid, falls ich dir dieses Gefühl vermittelt habe.« Ich werde nie wie Cyrus sein und Menschen kontrollieren, ihnen sagen, was sie zu fühlen, wie sie zu handeln haben, und sie bestrafen, wenn sie mir nicht gehorchen.
Leyla legt den Kopf schief. »Sag mal, geht es dir wirklich gut? Irgendwie wirkst du … komisch.«
Ich zwinge mich zu einem Lachen. »Alles okay. Bin wie immer!«
Alles andere als überzeugt trinkt sie ihren Tee aus, der einen Schaumschnurrbart auf ihrer Oberlippe hinterlässt. Als ich es ihr sage, holt sie einen kleinen Taschenspiegel hervor, inspiziert den Schaden und lacht laut auf.
»Mit mir kann man echt nirgends hingehen! Bin gleich wieder da«, sagt sie und verschwindet auf die Toilette.
In Gedanken blicke ich aus dem Fenster, als sich ein Junge unserem Tisch nähert. Er ist älter, sicher schon Ende zwanzig, hat schwarze Haare und einen Nasenring. »He, Kailey«, begrüßt er mich.
Ich mustere ihn. Er ist definitiv zu alt für die Highschool und riecht nach Leder, Zigaretten und Bier. Ich frage mich, woher Kailey ihn kennt.
»He«, sage ich zögerlich.
»Haben uns ja eine ganze Weile nicht gesehen. Ich dachte, du würdest am Samstag rauskommen?« Eindringlich, jedoch nicht unbedingt freundlich sieht er mich an. Er hat etwas an sich, was mir unsympathisch ist.
»Ich hatte ziemlich viel zu tun«, erwidere ich steif. Ich will, dass er geht.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Leyla aus der Damentoilette kommen. »Ich sollte jetzt wirklich weiterlernen.«
Er folgt meinem Blick und nickt. »Habe verstanden. Hoffentlich schaffst du’s in den nächsten Tagen mal wieder in den Club. Ich vermisse es, mit dir zu tanzen.« Er zwinkert mir zu und entfernt sich.
Meine Haut kribbelt.
»Wer war das denn?«, fragt Leyla neugierig, als sie sich wieder auf ihren Stuhl setzt.
»Keine Ahnung«, antworte ich ehrlich. »Lass uns gehen.«
Als wir die Telegraph Avenue entlangschlendern, hakt sie sich bei mir unter. »Ich freue mich so, dass wir den Abend für uns haben.«
Die plötzliche körperliche Nähe überrascht mich, doch dann entspanne ich mich. Ich weiß, dass das hier nicht mein Leben ist, aber ich war so einsam, und ich mag Leyla wirklich. Sie ist nett und hat ihre Freundin sehr gemocht.
»Ich auch«, antworte ich schließlich.
Kapitel 18
A m nächsten Morgen hat Bryan schon früh Football-Training, weshalb ich mit Noah allein zur Schule fahre. Ich sitze auf dem Vordersitz und bin auf einmal fürchterlich schüchtern. Starr schaue ich nach vorn durch die Windschutzscheibe und weiß nicht, was ich mit meinen Händen machen soll. Noah schweigt ebenfalls, er hat dunkle Ringe unter den Augen. Er lässt auch keine Musik laufen, und ich weiß nicht, ob er verärgert ist oder es nur vergessen hat. Als wir auf dem Schulparkplatz anhalten, macht er keine Anstalten auszusteigen.
Erst als ich nach meinem Rucksack greife und die Hand schon am Türgriff habe, sagt er: »Mein Dad hat seinen Job verloren und wieder zu trinken angefangen. Ich glaube, meine Mom wird uns verlassen.« Seine Hände liegen immer noch auf dem Lenkrad, als ob er fahren würde.
»Noah«, flüstere ich. Durch das offene Fenster höre ich die Schulglocke, die zum Unterricht ruft, aber ich bleibe sitzen. »Das tut mir so leid.«
»Ich hasse es dort.«
Ich spüre, dass er mich ansieht, und wende mich ihm zu, wieder einmal überrascht von der Intensität seiner blauen Augen. Er sieht aus, als ob er geweint hätte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mir ist nicht einmal der Gedanke gekommen, dass Noah es zu Hause nicht leicht haben könnte – er wirkt immer so unbeschwert. Doch wenn ich jetzt zurückdenke, hätte ich aufmerksam werden können. Er lässt sich nichts anmerken, aber er gibt vor, jemand zu sein, der er nicht ist. Genau wie ich.
Aus einem Impuls heraus ergreife ich seine Hand. Er zieht sie nicht zurück.
»Ich werde
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