Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
Gegend.
Endlich finde ich den Ort, den ich gesucht habe. Der Laden ist klein und ein unglaubliches Durcheinander. Hohe Metallregale stehen unsicher an den Gängen, in denen kein einziger Kunde zu sehen ist. Der Geruch nach kochendem Fleisch und Koriander, der vom hinteren Ende des Ladens ausgeht, ist überwältigend. Unsicher blicke ich mich um, dann entdecke ich einen Tresen in der Nähe des Eingangs.
»Ja?«, sagt der Mann dahinter, der gelangweilt eine Zeitschrift durchblättert. Als er sie auf dem Tresen ablegt, sehe ich verblüfft, dass es sich um eine Ausgabe der Vogue handelt.
Ich atme tief durch. »Ich suche Lucia.«
Der Mann lächelt, und tiefe Falten werden in seinen Augenwinkeln sichtbar. »Natürlich tust du das.« Er springt von seinem Sitz und führt mich in den hinteren Teil des Ladens.
Lucia kommt aus der Küche – sie ist jünger, als ich erwartet habe, vielleicht Mitte zwanzig. Ihre Lippen sind knallrot, und ihre Haare sind zu einem strengen Knoten gebunden.
»Was brauchst du, Süße? Lass mich raten … einen Führerschein?« Sie nickt dem Mann zu, der sich daraufhin entfernt.
»Ja«, antworte ich. »Die Konzerte meiner Lieblingsbands sind alle erst ab einundzwanzig. Können Sie mir helfen?«
»Mhm.« Sie hebt die Augenbrauen. »Hast du Bargeld?«
»Wie viel?«
»Fünfundsiebzig. Aber dann ist es garantiert echt. Man kann es scannen und alles.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust, und ich nicke zum Einverständnis. »Okay, lass uns einen Spaziergang machen.«
Sie nimmt einen Regenmantel von einem Haken an der Wand, und wir gehen nach draußen. Nach einigen Blocks bietet sie mir ihren Schirm an, doch ich lehne ab.
»Na komm schon«, sagt sie und blickt mich mitleidig an. »Du schaust aus wie ein ertrunkener Vogel. Du willst doch sicher hübsch aussehen auf dem Foto.«
Vor einem Fotostudio halten wir an, in dessen Schaufenster glamouröse Aufnahmen in aufwendigen Goldrahmen hängen, weichgezeichnet und mit träumerischen Gesichtsausdrücken. Im Studio ist es düster und riecht leicht modrig. Man hat verschiedene Hintergründe zur Auswahl und eine ganz Stange voll mit festlichen Kleidern. Ich streiche mit den Fingern darüber, doch Lucia steuert geradewegs auf eine Tür zu, die in einen anderen Raum mit einer blauen Leinwand führt. Ich erkenne die Farbe sofort; es ist der Hintergrund für die Fotos auf den kalifornischen Führerscheinen.
Ein Mann mit dunkler Sonnenbrille kommt herein, und seine Glatze glänzt im Licht der Scheinwerfer. Er sagt leise auf Spanisch zu Lucia: »Bist du dir sicher, dass sie in Ordnung ist?«
Lucias Antwort kann ich nicht verstehen, aber er wirkt beruhigt. Sie bringt mir ein Handtuch, mit dem ich mir die Haare trockenreiben kann.
»Gracias«, flüstere ich.
Ich gebe ihr das Geld, der Mann macht ein Foto von mir und verlässt den Raum wieder.
»Es wird etwa eine Stunde dauern«, erklärt mir Lucia. »Du kannst mich dann in der Tacquería treffen.«
»Kann ich bei Ihnen bleiben?«, frage ich. Ich bin hungrig.
»Du bist neu in dem Geschäft, nicht wahr?« Sie lacht mich aus, doch ich darf mit ihr kommen.
Als wir zurück zu dem Laden gehen, bin ich völlig in Gedanken versunken. Kaileys Krankenhausakte stellt ein Problem dar. Jede einzelne Stunde zählt bei meiner Flucht, und ich darf nicht riskieren, dass Cyrus herausfindet, wer ich bin, bevor ich die Stadt hinter mir gelassen habe.
In der Tacquería bestelle ich zwei Tacos mit Fleischfüllung und setze mich an die Bar auf einen Hocker.
Lucia öffnet eine Dose Jarritos Mangolimonade und reicht sie mir. »Die geht aufs Haus, Süße.«
Dankbar nehme ich einen Schluck. »He, Lucia«, sage ich. »Ich hätte da noch eine … Bitte. Kennen Sie jemanden mit Computerkenntnissen?«
»Wozu, um dir mit den Konzerttickets zu helfen?«
Ich lächele. »Ich muss einige Informationen verschwinden lassen. Einen Besuch im Krankenhaus und eine Anzeige bei der Polizei, wovon meine Eltern nicht erfahren dürfen. Sie würden mich umbringen.« Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt, und beiße rasch von meinem Taco ab, wobei ich einige Zwiebeln auf dem Pappteller verstreue.
»Ah, verstehe. Ich habe einen Freund, der ist ein Genie in solchen Sachen. Den kann ich mal fragen.«
Sie holt ein Mobiltelefon hervor und verschwindet in der Küche. Ich versuche, sie zu belauschen, doch vergeblich. Nach ein paar Minuten kommt sie zurück.
»Du wirst ihn vermutlich nicht bezahlen wollen. Er kann es machen, will
Weitere Kostenlose Bücher