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Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Titel: Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avery Williams
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nicht bibbernd da und warte darauf, dass er mich entdeckt.
    Nach der Schule schließe ich Kaileys Fahrrad auf und verberge mich hinter einem Baum. Ich habe mir eine Strickmütze tief ins Gesicht gezogen, und der Regen durchnässt meine Jeansjacke. Doch ich fühle die Kälte nicht einmal. Dann sehe ich, wie Cyrus das Klassenzimmer verlässt und sich eine elegante Lederaktentasche über den Kopf hält. Zu meiner Überraschung geht er auf die Bushaltestelle zu. Cyrus, dessen Autos mehr wert sind als das Jahresgehalt eines Lehrers, der mit einem Fingerschnippen einen Privatjet ordern könnte, fährt mit dem Bus?
    Der Omnibus kämpft sich langsam durch den dichten Verkehr nach Shattuck, trotzdem halte ich einen Abstand von mehreren Blocks ein, um nicht aufzufallen. Ich folge dem Bus durch South Berkeley bis nach Oakland, an den Coffeeshops und kleinen Restaurants auf der Telegraph Avenue vorbei. Immer wieder weiche ich Fußgängern aus und merke, dass die Bremsen von Kaileys Fahrrad dringend überholt werden müssten. An der Ecke zum MacArthur Boulevard steigt Cyrus aus. Während er darauf wartet, die Straße überqueren zu können, nähert sich ein Auto mit glänzenden Felgen und dröhnendem Bass und rast durch eine Pfütze. Sein Anzug ist nun über und über mit öligem Wasser bespritzt.
    Er geht zu Fuß weiter, weshalb ich das Fahrrad schnell an einer Parkuhr anschließe und ihm hinterherlaufe, als er den MacArthur Boulevard nach Osten entlanggeht. Ich halte mir einen Schirm vors Gesicht, doch er dreht sich nicht um. Schließlich biegt er auf den Parkplatz eines schäbigen Motels namens Fireside Inn ein. Ich würde meine kompletten mageren Ersparnisse darauf verwetten, dass es in dem ganzen Gebäude keinen funktionierenden Kamin gibt.
    Warum wohnt Cyrus in so einer Absteige? Er könnte sich ein wunderschönes Haus in den Hügeln mieten oder ein neues Apartment in der Innenstadt. Auf einmal wird mir klar, dass ich Cyrus seit seiner Ankunft mit keinem anderen Mitglied unserer Gruppe gesehen habe. Würden sie stillschweigend ignorieren, was er da tut? Ich weiß, dass meine Flucht ihn erzürnt haben muss, und frage mich, ob die anderen seine Macht danach in Frage gestellt haben. Er ist hier, weil dies der letzte Ort auf Erden ist, an dem sie nach ihm suchen würden. Vermutlich haben sie keine Ahnung, wo er sich aufhält. Eins ist sicher – Cyrus hat sich für dieses Motel entschieden, weil hier garantiert niemand Fragen stellt. Es ist vollkommen anonym.
    Ich verstecke mich hinter einem Müllcontainer, spüre, wie meine Füße im Dreck wegrutschen, und drücke mich an die Wand, deren Stuckverzierungen sich mir in die Schulterblätter pressen. Mein Haar klebt nass an meiner Wange, und ich atme schwer. Ungeduldig schiebe ich die Strähnen unter die Mütze und versuche, mit der Wand zu verschmelzen, unsichtbar zu sein, die Geduld eines Steines zu haben.
    Der Sturm verstärkt die Novemberdämmerung noch, und schon bald ist es dunkel. Ich warte und warte, den Blick unverwandt auf die Tür mit der Nummer Siebzehn im ersten Stock gerichtet, hinter der Cyrus verschwunden ist.
    Beinahe verpasse ich den Moment, als er herauskommt, weil mich Schreie von der Straße ablenken. Zwei Männer, beide ziemlich betrunken, brüllen einander an. Doch meine Sinne sind hellwach, weshalb ich die kleine Bewegung an der Tür aus den Augenwinkeln bemerke. Cyrus trägt immer noch einen seiner teuren Anzüge und könnte kaum mehr fehl am Platze wirken. Er gleitet die Außentreppe hinab, weicht den Pfützen auf dem Parkplatz aus und ist verschwunden.
    Ich ziehe mir die Mütze wieder ins Gesicht, streife mir Handschuhe über – schließlich darf ich keine Fingerabdrücke hinterlassen – und spähe um die Ecke. Cyrus schlendert den MacArthur Boulevard entlang, biegt nach rechts ab und ist damit endgültig aus meinem Sichtfeld verschwunden.
    Als ich die Betontreppe nach oben haste, stolpere ich, stoße mir jedoch nur das Knie. Die Tür ist verschlossen, wie ich es erwartet habe. Zum Glück weiß ich, wie man Schlösser knackt, und das Motel ist alt genug, um noch keine elektronischen Schlüsselkarten zu haben.
    Ich ziehe eine Haarnadel aus der Tasche und habe das Schloss innerhalb einer Minute geöffnet. Rasch schlüpfe ich ins Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Der übelkeiterregende Geruch nach Raumerfrischer mit Kiefernduft schlägt mir in dem dunklen, schäbigen Zimmer entgegen. Nichts hier entspricht dem extravaganten Geschmack von Cyrus,

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