Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
Schulterzucken, ein eckiges Kopfrucken und ein langes, lastendes Schweigen, während er mir den Rücken zuwendet und aus dem Fenster schaut. Sein Anblick zwingt mich förmlich zum Weiterreden. »Was kann es schon schaden, wenn wir der Sache nachgehen? Falls die Frau sich als so alt und verrückt und senil entpuppt, wie du glaubst, dann okay. Egal. Nichts passiert. Ich meine, warum sollen wir uns über ein paar Tage Zeitverschwendung den Kopf zerbrechen, wenn eine ganze Ewigkeit vor uns liegt? Falls sich allerdings herausstellen sollte, dass sie nicht verrückt ist, tja, dann …«
Ich kann meinen Satz nicht beenden, als er herumwirbelt und mich mit so finsterer und aufgewühlter Miene anfunkelt, dass ich unwillkürlich zusammenzucke. »Was es schaden kann?« Sein Mund verzieht sich zu einem grimmigen Strich, während er mich mit seinem Blick förmlich durchbohrt. »Nach allem, was wir durchgemacht haben – musst du das wirklich noch fragen?«
Ich schabe mit der Schuhspitze am Teppich, während mir weitaus ernster zu Mute ist, als er begreift, weitaus ernster, als ich mir anmerken lasse. Instinktiv weiß ich in meinem tiefsten Inneren, dass die Szene, die wir soeben mit angesehen haben, weitaus mehr Bedeutung barg, als er zugeben möchte. Das Universum ist ganz und gar nicht
zufällig. Es gibt einen klaren Grund für alles. Und ich hege keinerlei Zweifel in meinem Herzen, in meiner Seele, dass diese scheinbar verrückte alte Frau einen Schlüssel zu etwas anbietet, was ich wirklich wissen muss.
Nur leider habe ich keine Ahnung, wie ich Damen davon überzeugen soll.
»Möchtest du wirklich unsere Winterferien so verbringen? Dem Rätsel einer dementen Frau hinterherschnüffeln? Versuchen, eine tiefere Bedeutung aufzuspüren, die – meiner bescheidenen Meinung nach – überhaupt nicht existiert?«
Besser als die Alternative, denke ich, obwohl ich die Worte für mich behalte. Ich muss an Sabines Gesicht an dem Abend denken, als ich am frühen Morgen nach Hause gekommen bin – nur wenige Stunden, nachdem ich meine frühere beste Freundin ins Schattenland und zu der daraufhin spontan errichteten Gedenkstätte im Sommerland befördert hatte. Wie sie mich ansah, den Bademantel fest um den Körper geschlungen, der Mund farblos und verkniffen. Doch am schlimmsten waren ihre Augen – die sonst hellblauen Iriden waren von tiefvioletten Kreisen überschattet, die sich bis weit nach unten fortsetzten. Sie funkelte mich mit einer entsetzlichen Mischung aus Wut und Angst an und hielt mit barscher Stimme und in gemessenen Worten ihre einstudierte Rede, in der sie mich vor die Wahl stellte, entweder die Hilfe in Anspruch zu nehmen, von der sie glaubt, dass ich sie brauche, oder mir ein anderes Zuhause zu suchen. Natürlich war es reiner Trotz, als ich nur nickte, kehrtmachte und wieder zur Tür hinausging.
Und zu Damen fuhr, bei dem ich seither wohne.
Ich verdränge den Gedanken und schiebe ihn in eine Ecke, um die ich mich später kümmern werde. Irgendwann
muss ich unsere Probleme natürlich konkret angehen, doch im Moment hat eindeutig die Sache mit der dunklen Seite von Sommerland Priorität.
Ich kann mir keine Ablenkungen erlauben, nicht, solange ich noch ein gutes Argument in der Hinterhand habe. Etwas, von dem er zweifellos gehofft hat, dass es nicht erwähnt werden würde, das sehe ich an dem Hauch von Besorgnis in seinem Gesicht.
»Sie wusste deinen Namen«, sage ich, verärgert über die Art, wie er es beiläufig abtun will.
»Sie lebt im Sommerland, einem Ort, der von Wissen überquillt. Wo man nur danach greifen muss.« Er runzelt die Stirn. »Ich wette, das findet sich alles in den Großen Hallen des Wissens, und jeder kann es sich heraussuchen.«
»Nicht jeder«, wende ich ein. »Nur die Würdigen.« Schließlich habe ich das Gegenteil davon erlebt. Ich muss an die gar nicht so lange zurückliegende Zeit denken, als man mich zu den Unwürdigen zählte und die Großen Hallen des Wissens mir den Zutritt verwehrten, bis ich mich zusammenriss und meine gute Magie – wie Jude sagen würde – wiederfand. Eine schreckliche Zeit, die ich hoffentlich nie wieder erleben muss.
Damen sieht mich an, und auch wenn offenkundig ist, dass er nicht vorhat, in absehbarer Zeit nachzugeben, ist es ebenso offenkundig, dass er einen Kompromiss finden will. Diese Art von Abwehr und Ausweichen bringt uns nicht weiter. Wir müssen handeln. Wir müssen einen Plan fassen.
»Sie wusste, dass du Esposito geheißen hast.« Ich
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