Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
endet und der Matsch beginnt –, und plötzlich verändert sich ihre Stimme und wird leiser. »Wir haben auf dich gewartet.« Sie verneigt sich tief vor mir, beugt sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit und Anmut für jemanden, der so alt ist, so … von vorgestern.
»Das haben Sie schon gesagt«, erwidere ich zu Damens Bestürzung.
Geh nicht auf sie ein! , warnt er mich mental. Orientier dich an mir. Ich hole uns hier raus.
Ich bin sicher, dass sie seine Worte mitgehört hat, als sie den Blick auf ihn richtet. Ihre fleckigen, blassblauen Iriden rollen praktisch in den Höhlen, als sie ihn anspricht. »Damen. «
Auf der Stelle erstarrt er und bereitet sich seelisch und körperlich auf alles Mögliche vor – außer auf das, was als Nächstes kommt.
»Damen. Augustus. Notte. Esposito. Du bist der Grund.« Ihr dünnes Haar wirbelt in einer manifestierten Brise umher, die uns alle umweht. »Und Adelina die Heilung.« Sie presst die Handflächen aneinander und sieht mich eindringlich an.
Ich blicke zwischen den beiden hin und her und weiß
nicht, was verstörender ist: die Tatsache, dass sie seinen Namen weiß – seinen ganzen Namen, einschließlich eines Bestandteils, den ich noch nie gehört habe, und eines anderen, den sie auf eine Art ausgesprochen hat, wie ich es noch nie gehört habe, oder die Art, wie Damen erbleicht und regelrecht erstarrt ist.
Ganz zu schweigen von der Frage, wer zum Kuckuck Adelina ist.
Doch die Antworten, die ihm durch den Kopf schwirren, ersterben, ehe sie seine Lippen erreichen, aufgehalten von ihrem Singsang, in dem sie erneut zu sprechen begonnen hat. »Acht. Acht. Dreizehn. Null. Acht. Das ist der Schlüssel. Der Schlüssel, den du brauchst.«
Ich sehe die beiden abwechselnd an und registriere, wie Damens Augen schmal werden, sich seine Kiefer verkrampfen und er mehrere unverständliche Worte murmelt. Dann umfasst er meine Hand noch fester und versucht, uns aus dem Matsch zu zerren, weg von ihr.
Trotz seiner Warnung, nicht zurückzuschauen, tue ich es doch. Ich blicke mich um und sehe direkt in diese wässrigen Augen. Die Haut der Frau ist so dünn, so durchscheinend, dass sie wie von innen erleuchtet wirkt, und erneut öffnet sie die Lippen. »Acht – acht – dreizehn – null – acht. Das ist der Anfang. Der Anfang vom Ende. Nur du kannst es entschlüsseln. Nur du – du – du – Adelina …«
Die Worte hängen in der Luft, eindringlich, höhnisch – und jagen uns den ganzen Weg aus dem Sommerland hinaus.
Den ganzen Weg zurück auf die Erdebene.
ZWEI
W ir können es nicht einfach ignorieren.« Ich drehe mich um und sehe ihn an, wobei ich ebenso weiß, dass ich Recht habe, wie ich weiß, dass er das anders sehen wird.
»Klar können wir das. Mach ich ja sowieso schon.« Seine Worte kommen viel schroffer heraus als geplant und lösen die Entschuldigung aus, die sogleich in seiner Hand erblüht – eine rote Tulpe an einem grünen Stängel.
Er überreicht sie mir, und ich nehme sie rasch entgegen, hebe sie mir an die Nase und lasse mir von den weichen Blütenblättern die Lippen streicheln, während ich den kaum wahrnehmbaren Duft einatme, den er dort für mich platziert hat. Er geht mehrmals zwischen Bett und Fenster hin und her, tappt mit nackten Füßen erst über den Steinboden, dann auf den dicken Teppich, erneut auf den Steinboden und wieder zurück. Mir ist bewusst, was für ein Konflikt sich in seinem Kopf abspielt, und ich weiß, dass ich mein Anliegen schnell vorbringen muss, bevor er sich eine feste Meinung gebildet hat.
»Du kannst nicht einfach etwas ignorieren, nur weil es unheimlich oder befremdlich oder in diesem Fall krass abstoßend ist. Damen, im Ernst, glaub mir, dass ich sie genauso schaurig finde wie du. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass es ein vernachlässigbarer, bedeutungsloser Zufall sein soll, dass sie uns immer wieder findet. Es gibt keinen Zufall, das weißt du ganz genau. Sie will mir schon seit Wochen etwas
mitteilen. Da ist das Lied und das Deuten mit dem Finger und das …« Mich fröstelt unwillkürlich, was er lieber nicht sehen soll, und so lasse ich mich aufs Bett fallen und reibe mir die Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben. »Jedenfalls steht fest, dass sie uns etwas sagen, uns irgendeinen Hinweis geben will. Und ich finde, wir sollten wenigstens versuchen herauszufinden, was das sein könnte – meinst du nicht?« Ich halte inne, um ihm Gelegenheit zum Antworten zu geben, aber er gönnt mir lediglich ein abweisendes
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