Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
in Bewegung setzen, ohne bestimmtes Ziel. Mir fällt wieder ein, was mir die Zwillinge übers Sommerland erzählt haben, dass es aus Sehnsüchten errichtet ist. Dass man, um etwas zu sehen, etwas zu tun, etwas zu haben, zu erleben oder zu finden, zuerst nach dem Betreffenden verlangen muss.
Ich halte kurz an und schließe die Augen, versuche, nach
den Antworten zu verlangen, die ich suche. Doch wie sich herausstellt, ist das Sommerland zu schlau für so etwas, also passiert gar nichts, außer das dass Pferd anfängt, sich zu langweilen und mich das durch Schnauben, Brummen, Schweifschlagen und Stampfen wissen lässt. Ich atme tief durch und versuche etwas anderes. Ich denke, was von allem hier, von all den Kinos, den Galerien, den Kosmetiksalons, den riesigen, wunderbaren Gebäuden, was ist wohl das eine, das ich sehen sollte und noch nicht gesehen habe?
Welches ist der eine Ort, von dem ich wirklich wissen muss?
Und ehe ich mich’s versehe, galoppiert das Pferd los - seine Mähne flattert, der Schweif schlägt wild, die Ohren sind angelegt, während ich die Zügel umklammere und mich mit aller Kraft festkralle. Die Szenerie verschwimmt und rauscht an mir vorbei, als ich mich ducke und die Augen gegen den Wind zusammenkneife. Binnen Sekunden legen wir eine weite Strecke über unbekanntes Gelände zurück, bis meine Stute so jäh und unerwartet anhält, dass ich über ihren Kopf hinwegfliege und im Schlamm lande.
Sie wiehert laut und bäumt sich auf, schnaubt und weicht langsam zurück, während ich vorsichtig auf die Beine komme und keine plötzliche Bewegung machen will, die sie noch mehr erschrecken könnte.
Da ich mehr an den Umgang mit Hunden als an den mit Pferden gewöhnt bin, senke ich die Stimme und zeige mit dem Finger auf den Boden, während ich fest und ruhig sage: »Bleib hier.«
Sie sieht mich mit zurückgelegten Ohren an; mein Plan sagt ihr eindeutig nicht zu.
Ich schlucke heftig, schlucke meine Furcht hinunter. »Nicht weglaufen. Bleib stehen.«
Ich weiß, dass sie vielleicht keine große Hilfe sein wird, wenn ich irgendwie auf reale Weise bedroht werde, aber ich möchte trotzdem an diesem klammen, unheimlichen Ort nicht allein sein.
Ich schaue auf meine schlammbedeckten Shorts hinunter, und selbst als ich die Augen schließe und versuche, sie durch neue zu ersetzen, mich zu säubern, bleibt alles genau wie vorher. Augenblickliches Manifestieren funktioniert hier nicht.
Ich hole tief Luft und gebe mir alle Mühe, mich zu fassen; ich möchte genauso dringend hier weg wie mein Pferd, doch ich weiß, dass ich aus irgendeinem Grund hierhergeschickt worden bin, dass es hier etwas gibt, das ich sehen soll. Also beschließe ich, noch etwas zu bleiben. Blinzelnd sehe ich mich um und stelle fest, dass der Himmel hier anstelle des üblichen goldenen Leuchtens ganz trübe und grau ist. Anstelle des schimmernden Dunstes, den ich gewohnt bin, herrscht hier ein stetiger Regen, der den Boden so nass und matschig macht, dass es den Anschein hat, als würde er niemals nachlassen. Doch wenn die kahlen Bäume und Pflanzen irgendetwas besagen, die so dürr und trocken aussehen, als wären sie seit Jahren nicht bewässert worden, dann ist das ganz bestimmt kein nährender Regen.
Ich mache einen Schritt vorwärts, entschlossen, die Botschaft zu entschlüsseln, zu erfahren, warum ich hier bin, doch als mein Fuß so tief einsinkt, dass der Schlamm mich bis zu den Knien verschluckt, beschließe ich, meinem Pferd die Führung zu überlassen. Aber ganz gleich was ich ihr ins Ohr säusele, welche Befehle ich gebe, sie weigert sich weiterzuforschen. Sie hat nur ein Ziel im Kopf, und das liegt dort, woher wir gekommen sind, also gebe ich schließlich auf und lasse sie laufen.
Im Davonreiten schaue ich über die Schulter und denke daran, was die Zwillinge einmal gesagt haben: »Das Sommerland beinhaltet die Möglichkeit aller Dinge.«
Und ich frage mich, ob ich irgendwie auf seine andere Seite gestoßen bin.
SIEBZEHN
W as ist denn mit dir passiert?« Ich blinzele und habe keine Ahnung, was er meint, bis ich seinem ausgestreckten Finger mit dem Blick bis zu meinen schlammbespritzten Beinen und den Sandalen folge, die einmal eine hübsche metallic-goldene Farbe hatten, jetzt aber so verdreckt sind, dass sie mehr wie braun getöntes Blech aussehen.
Mit gefurchter Stirn tausche ich sie augenblicklich gegen eine neue, saubere Version aus. Ich bin froh zu wissen, dass ich wieder im magischen Bereich des Sommerlandes
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