Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
ertrunken bin.«
»Wer ist ertrunken?«, frage ich mit gereizter Stimme und viel ernster, als ich es vorgehabt habe.
»Ich.« Er seufzt dramatisch und fügt dann lachend hinzu: »Gibt’s sonst noch was Neues? Die Maid wurde, wie sich herausstellte, schnell von einem hochgewachsenen, dunkelhaarigen, stattlichen jungen Adligen von hohem Stande und großem Vermögen gerettet, der, wie in solchen Fällen so oft, zufällig ein viel größeres Boot besaß. Und nachdem er sie hurtig an Bord gezogen hatte, hat er sie gewärmt und getrocknet, verdammt, wahrscheinlich hat er sie auch noch mit vollendeter Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt. Woraufhin er sie nicht nur mit seiner ungeteilten
Aufmerksamkeit, sondern auch noch mit einer Reihe von Geschenken überschüttet hat, eins beeindruckender als das andere, bis sie endlich aufgehört hat, sich zu zieren und ihn geheiratet hat. Und du weißt ja, wie es endet, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf; meine Kehle ist eng und heiß, und ich bringe kein Wort heraus.
Mir ist sehr bewusst, dass er nur ein harmloses Märchen erschafft, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass diese spezielle Geschichte vielleicht sehr viel tiefer reicht, als er denkt.
»Na ja, die beiden hatten ein langes, luxuriöses und unglaublich glückliches Leben, bis sie beide im hohen Alter gestorben sind und wiedergeboren wurden, damit sie das Vergnügen haben können, sich wiederzufinden und von vorn anzufangen.«
»Und der Gondoliere ? Was ist aus dem geworden - aus dir? Ich meine, es gibt bestimmt eine Belohnung dafür, zwei Seelengefährten zusammengebracht zu haben?«
Er zuckt die Achseln und schaut weg, macht sich wieder ans Rudern. »Das Schicksal des Gondolieres ist es, dieselbe jämmerliche Szene wieder und wieder zu wiederholen, sich immer nach dem zu sehnen, was eindeutig für jemand anderen bestimmt ist. Dasselbe Skript, andere Zeit, anderer Ort. Die Story meines Lebens - oder vielleicht meiner diversen Leben.«
Und obgleich er lacht, ist es keine Einladung an mich mitzulachen. Es ist einsam, abweisend, zu sehr mit Wahrheit belastet, um Raum für Humor zu lassen. Seine Geschichte kommt der Wirklichkeit von ihm und mir so unglaublich nahe, dass ich gar nichts sagen kann.
Mein Blick wandert über ihn hinweg, und ich überlege, ob ich es ihm sagen soll …, das von mir …, von uns …
Aber was würde es nützen? Vielleicht hatte Damen ja Recht, als er gesagt hat, dass wir uns eigentlich nicht an unsere früheren Leben erinnern sollten, dass das Leben nicht als Prüfung mit offenem Lehrbuch gedacht ist. Wir haben alle unser eigenes Karma, unsere eigenen Hindernisse, die wir überwinden müssen, und anscheinend bin ich eins von Judes Hindernissen, ob mir das nun gefällt oder nicht.
Ich räuspere mich und beschließe, all dem ein Ende zu machen und auf den dritten Grund zu sprechen zu kommen, weshalb wir hier sind. Den Grund, an den ich bis jetzt eigentlich gar nicht gedacht habe. Ich hoffe, das wird uns beiden nützen, und bete, dass ich nicht noch einen kolossalen Fehler mache, als ich sage: »Wie wär’s, wenn wir hier Schluss machen? Ich will dir noch etwas anderes zeigen.«
»Etwas Besseres als das hier?« Er zieht das Ruder aus dem Wasser und fuchtelt damit herum.
Ich nicke, schließe kurz die Augen und bringe uns rasch zu der duftenden Wiese zurück, wo Jude wieder in seinen normalen Klamotten steckt, verwaschenen Jeans, dem T-Shirt mit dem Om- Symbol und den Flipflops, in denen er hier angekommen ist. Und ich tausche mein prachtvolles Kleid gegen abgeschnittene Jeans, ein Tank-Top und Sandalen ein, ehe ich ihn am Bach entlangführe, zur Straße hinüber, die Gasse hinunter und auf den Boulevard, wo die Großen Hallen des Wissens zu finden sind.
Dann drehe ich mich zu ihm um und verkünde: »Ich muss dir etwas gestehen.«
Er sieht mich an; seine gespaltene Braue ist erwartungsvoll hochgezogen.
»Ich … Ich habe dich nicht nur hergebracht, um dich zu heilen.« Er bleibt stehen und sieht mich auf eine Art und Weise an, die mich ebenfalls anhalten lässt. Rasch hole
ich tief Luft; ich weiß, dass das hier meine Chance ist, der einzige Ort, wo ich es jemals werde aussprechen können. Also straffe ich die Schultern, hebe das Kinn und sage: »Eigentlich musst du etwas tun …, etwas für mich.«
»O-kay . « Er kneift die Augen zusammen; sein Blick ist freundlich, geduldig wartet er, dass ich zur Sache komme.
»Verstehst du … Es ist so …« Ich drehe mein Armband aus
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