Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
bin, der jenem Niemandsland bei Weitem vorzuziehen ist. Dann nehme ich mir einen Augenblick Zeit, um die weiche, fliederfarbene Strickjacke überzustreifen, die ich auch gerade manifestiert habe. Ich ziehe sie fest um mich, während ich sage: »Ich hatte das Warten satt. Ich habe nicht gewusst, wie lange du brauchen würdest, also habe ich einen kleinen … äh … Ausflug gemacht.« Dabei ziehe ich die Schultern hoch, als wäre gar nichts weiter dabei, als wäre es nur ein ganz alltäglicher, spätnachmittäglicher Feld-Wald-und-Wiesen-Ritt gewesen. Dabei war es in Wirklichkeit alles andere als das, mit diesem merkwürdigen, unablässigen Regen, diesen kahlen Bäumen und der Entschlossenheit meines Pferdes, so schnell wie möglich von dort abzuhauen. Aber Jude hat bereits so genug zu verdauen, und ich will unbedingt erfahren, was er gesehen hat.
»Aber noch viel wichtiger, als was mir passiert ist, was war mit dir?« Ich begutachte ihn von den goldenen Dreadlocks bis zu den Gummisohlen seiner Flipflops und bemerke, dass er zwar äußerlich noch wie der ist, den ich zurückgelassen habe, innerlich jedoch hat sich definitiv etwas verändert. Seine Energie hat sich verschoben, sein Auftreten ist anders. Einerseits wirkt er leichter, heller, strotzt nur so vor Selbstvertrauen, doch für jemanden, der gerade eines der größten Wunder im ganzen Universum besucht hat, scheint er gleichzeitig ausgesprochen nervös zu sein.
»Na ja …, es war … interessant.« Sein Blick begegnet dem meinen, aber nur einen Augenblick lang, ehe er sich rasch abwendet.
Und ich kann es nicht fassen, dass er wirklich glaubt, er kommt damit durch. Ich meine, ich denke doch, ich habe ein bisschen mehr verdient, dafür, dass ich ihn den ganzen Weg hergeschleppt habe.
»Äh, möchtest du das vielleicht ein bisschen weiter ausführen?« Ich ziehe die Brauen hoch. »Inwiefern war es interessant? Was hast du gesehen, was hast du in Erfahrung gebracht? Was hast du gemacht, von dem Moment an, in dem du da reingegangen bist, bis zu dem, als du wieder rausgekommen bist? Hast du die Antworten bekommen, die ich brauche?« Mir ist klar, dass ich ganz kurz davor bin, in seinen Kopf zu spähen, wenn er nicht bald damit herausrückt.
Er holt tief Luft, dreht sich um und geht ein paar Schritte weg, bevor er mir endlich in die Augen sieht und sagt: »Ich weiß nicht genau, ob ich jetzt wirklich schon darüber reden will. Ist’ne ganze Menge zu verarbeiten, und ich muss das alles erst noch auf die Reihe kriegen. Es ist alles ein bisschen … kompliziert.«
Ich blinzele, entschlossen, es selbst herauszufinden. Im Sommerland gibt es nur sehr wenige Geheimnisse, besonders für einen Neuling wie ihn, der keinen blassen Dunst hat, wie das alles funktioniert. Doch in dem Moment, als ich gegen eine unverrückbare Mauer anrenne, weiß ich, wo er gewesen ist.
Die Akasha-Chronik.
Ich denke daran, wie Romy gesagt hat: Nicht alle Gedanken kann man lesen, nur die, die zu sehen einem gestattet werden. Alles, was du in der Akasha-Chronik siehst, gehört ganz allein dir.
Ich kneife die Augen zusammen. Jetzt muss ich es dringender wissen denn je; ich gehe auf ihn zu, will ihn gerade noch ein bisschen mehr drängen, als ich es fühle - dieses Aufwallen von Wärme, von Kribbeln und Hitze, die seine bloße Gegenwart mit sich bringt. Ich drehe mich um und sehe Damen diese steile Marmortreppe herunterkommen, bis er stehen bleibt … Alles bleibt stehen …, und unsere Blicke sich begegnen.
Und gerade will ich ihn rufen - ihn drängen, zu mir zu kommen, weil ich weiß, dass ich jetzt die Chance habe, alles zu erklären -, als ich sehe, was er sieht. Mich und Jude zusammen auf einem netten Ausflug ins Sommerland - Damens und mein ganz besonderer Zufluchtsort. Und ehe ich etwas tun, etwas sagen kann - ist er weg. Ist einfach verschwunden, als wäre er niemals wirklich hier gewesen.
Nur dass er doch hier war.
Seine Energie verweilt noch. Ich kann ihn immer noch auf der Haut fühlen.
Und ein Blick auf Jude reicht aus, um es zu bestätigen. Wie seine Augen groß werden, seine Lippen sich öffnen, wie er die Hand nach mir ausstreckt, mich trösten will, doch
ich weiche hastig zurück. Es macht mich krank, was Damen jetzt ganz bestimmt denkt - wie wir für ihn ausgesehen haben müssen.
»Du solltest gehen«, sage ich und kehre ihm den Rücken zu. Meine Stimme ist schroff und gepresst. »Mach einfach die Augen zu, stell dir das Portal vor und geh. Bitte.«
»Ever …«
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