Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
schließe die Augen und rufe Damen zu mir - bediene mich aller Kräfte, die ich noch habe, bevor das Ungeheuer erwachen und sich seinem Lieblingszeitvertreib hingeben kann, nämlich mich zu sabotieren. Ich addiere die Sekunden und komme nicht einmal auf zehn, ehe er vor mir steht.
Die Luft hat sich verändert, ist von seiner Gegenwart in Brand gesetzt worden; sein Blick lässt köstliche Wärme über meine Haut prickeln. Und als ich die Augen öffne, um in die seinen zu blicken - da ist es wie damals, als wir uns auf dem Schulparkplatz zum ersten Mal begegnet sind. Hypnotisierend, magisch, ein Moment völliger und totaler Hingabe. Die Sonne steht in seinem Rücken und hüllt ihn in grelle Orange-, Gold- und Rottöne, so strahlend, als gingen sie von ihm selbst aus. Und ich halte den Augenblick fest, halte ihn fest, so lange ich kann. Mir ist nur allzu klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, ehe das Leuchten erlischt und ich ihm gegenüber wieder gefühllos werde.
Er nimmt die Schaukel neben mir, gleitet hoch in den Himmel hinauf und passt sich sofort meinem Tempo an. Wir schwingen uns zu so berauschenden, wunderbaren Höhen empor, nur um gleich wieder hinabzustürzen - eine Analogie unserer Beziehung während der letzten vierhundert Jahre.
Doch als er mich erwartungsvoll ansieht, weiß ich, dass ich ihn gleich enttäuschen werde. Ich bin nicht aus dem Grund hier, den er vermutet.
Ich hole tief Luft und quetsche die Worte an dem Kloß in meiner Kehle vorbei. »Hör zu«, sage ich und drehe mich zu ihm herum, »ich weiß, im Moment ist alles etwas … schwierig … « Dann halte ich kurz inne, mir ist klar, dass das eine unzureichende Beschreibung ist, doch ich mache trotzdem weiter. »Aber, na ja, nachdem du weg warst, bin ich auf etwas so Außergewöhnliches gestoßen, dass ich gleich hergekommen bin, um es dir zu erzählen. Und wenn wir zumindest fürs Erste mal all den anderen Kram beiseitelassen können, dann glaube ich, du wirst es hören wollen.«
Er legt den Kopf schief und starrt mich unverwandt an.
Sein Blick ist so tiefgründig, so dunkel und so eindringlich, dass mir die Worte in der Kehle stecken bleiben.
Mit Gewalt zwinge ich mich, den Blick zu senken, ziehe mit der Fußspitze kleine Kreise in den Sand und dränge die Worte über meine Lippen, als ich sage: »Ich weiß, das klingt total irre, so irre, dass du es mir wahrscheinlich zuerst gar nicht glauben wirst - aber ich sage dir, ganz gleich wie abwegig es zu sein scheint, es ist absolut und vollkommen wahr, ich hab es selbst gesehen.« Ich werfe ihm einen verstohlenen Blick zu und sehe ihn auf seine ganz eigene Art und Weise nicken, ermutigend und geduldig. Also räuspere ich mich und setze noch einmal an. Dabei frage ich mich, wieso ich eigentlich so nervös bin, da er doch wahrscheinlich der Einzige ist, von dem ich weiß, dass er es wirklich verstehen würde. »Also, weißt du, du sagst doch immer, die Augen sind das Fenster zur Seele und der Spiegel der Vergangenheit und all so was? Und dass man jemanden aus früheren Leben wiedererkennen kann, indem man ihm einfach in die Augen schaut?«
Er nickt, verhalten und ohne Eile, als hätte er alle Zeit der Welt zu sehen, wo das hier hinführt.
»Jedenfalls, was ich sagen will …« Wieder atme ich tief durch und hoffe, das er mich nicht für verrückter hält, als er es ohnehin schon tut, als ich herausplatze: »AvaistRomyundRaynesTante!« Die Worte sprudeln so schnell aus mir heraus, dass es sich anhört wie ein einziges sehr langes Wort, während er einfach weiter dasitzt und so cool und gelassen aussieht wie nur was.
»Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, ich hätte eine Vision gehabt, in der ich ihre Lebensgeschichte habe ablaufen sehen, und dass ich ihre Tante gesehen habe? Also, so irre sich das auch anhört, aber diese Tante ist jetzt Ava .
Sie ist bei den Hexenprozessen von Salem umgekommen und in diesem Leben als Ava zurückgekehrt.« Ich zucke die Achseln; mir ist nicht ganz klar, was man nach so einer Offenbarung noch sagen soll.
Seine Lippen wölben sich ganz, ganz leicht, während sein Blick leichter wird. Er schubst seine Schaukel vor und zurück und erwidert: »Ich weiß.«
Ich blinzele und bin mir nicht sicher, ob ich mich verhört habe.
Er schwenkt herum, kommt so nahe, dass unsere Knie sich fast berühren und sieht mich an. »Ava hat es mir gesagt.«
Ich springe so schnell und heftig von meiner Schaukel, dass die Ketten gegeneinanderschlagen und sich verdrehen -
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