Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
schuldbeladene Gefühl nicht los, dass ich unerlaubt herumschnüffele, mir Einblick in ein Privatleben verschaffe, von dem ich nicht recht weiß, ob ich es sehen soll.
Gleichzeitig jedoch ist mir klar, dass ich nicht aus Versehen hier bin; ich sollte das hier finden, daran habe ich keine Zweifel. Denn ich kenne mich mit dem Sommerland gut genug aus, um zu wissen, dass die Dinge sich hier ganz und gar nicht zufällig ereignen. Irgendwo innerhalb dieser vier Wände ist etwas, das ich sehen soll. Und als ich eine kleine, schlichte Schlafkammer betrete, erkenne ich sie augenblicklich als Replik der Tante wieder, die die beiden aufgezogen hat …, die sie gedrängt hat, sich im Sommerland zu verstecken, um sie vor den Hexenprozessen zu bewahren, die ihr schließlich ein grausiges Ende gebracht haben. Das Bett ist schmal und sieht sehr unbequem auf; wie zum Ausgleich steht daneben ein kleiner Tisch mit einem ledergebundenen Buch und ein paar getrockneten Blumen und Kräutern darauf. Und abgesehen von einem weiteren Flickenteppich, einem hohen, schmalen Kleiderschrank in der Ecke - dessen Tür gerade weit genug offen steht, dass man das braune Baumwollkleid erkennen kann, das darin hängt - ist der Rest der Kammer kahl.
Unwillkürlich frage ich mich, ob Romy und Rayne ihre
Tante wohl jemals herbeimanifestiert haben, so wie ich es mal mit Damen gemacht habe. Frage mich, wie lange sie sich wohl bemüht haben, an dem Leben festzuhalten, das sie kannten, ehe sie schließlich aufgegeben und sich mit dem hier begnügt haben - mit einer Imitation dessen, was einmal war.
Ich schließe die Tür hinter mir und gehe zu der kleinen Leiter, die zum Schlafboden hinaufführt. Oben ziehe ich unter der sehr schrägen Decke den Kopf ein und krümme mich innerlich, als das Holz laut unter meinen Füßen ächzt. Rasch taste ich mich zu dem Bereich des Dachbodens vor, wo die Decke höher ist, richte mich auf und betrachte die beiden schmalen Betten und den kleinen Holztisch dazwischen, mit einem Bücherstapel und einer ziemlich mitgenommenen Öllampe darauf. Mehr oder weniger genauso wie im Zimmer ihrer Tante - mit Ausnahme der Wände, die mit Belegen für die Popkultur der Gegenwart bepflastert sind, die nur das Resultat von Rileys Einfluss sein können. Jeder Zentimeter ist mit Rileys Favoriten bedeckt; wie ich sie kenne, ist den Zwillingen gar nichts anderes übrig geblieben, als ihnen ebenfalls Gefolgschaftstreue zu schwören.
Mein Blick huscht im Raum umher, umgeben von den strahlenden Gesichtern ehemaliger Disneystars, die jetzt Teenagertycoons sind. Ein Aufmarsch amerikanischer Idole und jedes Einzelnen, der jemals das Cover von Teen Beat geziert hat. Und als ich das Stück Schreibpapier erblicke, das an die Tür gepinnt ist, muss ich unwillkürlich lachen. Ich weiß, dass dieser Stundenplan, diese Auflistung von Lehrveranstaltungen ihrer manifestierten Schule, von niemand anderem stammen kann als von meiner kleinen Geisterschwester.
1. Stunde: Mode für Anfänger:
Was geht, was nicht geht, und was gar nicht geht
2. Stunde: Einführungskurs Frisuren:
Grundlegende Stylingtechniken (Voraussetzung für »Frisuren für Anfänger«)
Pause: 10 Minuten für Klatsch und Körperpflege
3. Stunde: Promi-Basics:
Wer ist in, wer ist out, und wer ist nicht das, was man glaubt
4. Stunde: Beliebtsein:
Ein umfassender Lehrgang in Beliebtwerden und Beliebtbleiben , ohne sich dabei selbst zu verlieren
Mittagspause: 30 Minuten für Klatsch und Körperpflege und fürs Essen, wenn’s unbedingt sein muss.
5. Stunde: Küssen und Make-up:
Was ihr schon immer über Lipgloss wissen wolltet, aber nie zu fragen gewagt habt
6. Stunde: Küssen für Anfänger:
Was ist eklig, was ist voll eklig, und was kommt voll gut an.
Eine komplette Aufstellung von Rileys üblichen Obsessionen; ganz bestimmt hat sie niemals die Chance gehabt, mit den beiden letzen herumzuexperimentieren.
Und gerade als ich gehen will und mir sicher bin, dass es nichts mehr zu sehen gibt, erblicke ich einen wunderschön verzierten Fotorahmen ganz oben auf einem Schrank, und stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihn herunterzuholen. Ich weiß, dass er nicht Romy und Rayne gehören kann, denn die Fotografie ist ja erst lange nachdem sie Salem verlassen
haben, erfunden worden, und ich schnappe hörbar nach Luft, als ich es betrachte. Es ist ein Bild von uns.
Von mir, Riley und unserer süßen blonden Labradorhündin Buttercup.
Der bloße Anblick beschwört eine so deutliche,
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