Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
kann nicht. Meine Kehle ist heiß und zugeschnürt. Und noch bevor ich es verhindern kann, bevor ich meinen Blick auf etwas anderes als Miles richten kann, kommen mir die Tränen.
Sie laufen über mein Gesicht und werden immer mehr, bis ich mich überhaupt nicht mehr beherrschen kann, das
Schluchzen und die bebenden Schultern mich überwältigen und ich auch die tiefe Verzweiflung nicht mehr ignorieren kann, die mir wie ein schwerer Klumpen im Magen liegt.
Ich registriere, dass Miles um den Ladentisch herumgeht, mich in die Arme nimmt, mir übers Haar streicht und sich nach Kräften bemüht, mich zu beruhigen, indem er mir tröstende Worte ins Ohr flüstert.
Doch ich weiß es besser.
Ich weiß, dass das alles überhaupt nicht stimmt.
Und es wird nicht wieder alles gut.
Zumindest nicht in der Form, wie er behauptet.
Ich mag ja ewige Jugend und Schönheit besitzen – ich mag ja über die Gabe des ewigen Lebens verfügen –, doch ich werde nie wieder die Art von wunderbarer, herrlicher Normalität genießen, wie sie Miles soeben geschildert hat.
DREIZEHN
A m späten Samstagnachmittag kann ich ihnen schließlich nicht mehr aus dem Weg gehen. Sabine steht in der Küche und schneidet Gemüse für einen griechischen Salat, während Mr. Muñoz an ihrer Seite Putenhackfleisch zu üppigen Hamburgern formt.
»Hey, Ever.« Er sieht auf und lächelt mich kurz an. »Willst du mit uns essen? Es ist mehr als genug da.«
Ich werfe einen Blick auf Sabine, sehe, wie sich ihre Schultern verkrampfen und ihr Messer ein bisschen heftiger aufs Brett aufschlägt, während sie eine Tomate zerteilt, und ich weiß, dass sie noch weit davon entfernt ist, mir zu verzeihen, mich zu akzeptieren, und damit kann ich im Moment einfach nicht umgehen.
»Nein, ähm, ich muss leider gleich los«, antworte ich und sehe an ihm vorbei, in der Hoffnung, nicht stehen bleiben und mit ihm plaudern zu müssen, da ich viel zu sehr darauf brenne, schnellstens das Haus zu verlassen.
Ich eile auf die Haustür zu und habe es fast schon geschafft, als er mit den Hamburgern fertig wird und mich ansieht. »Würdest du mir bitte die Tür aufhalten?«
Ich bleibe stehen, obwohl es natürlich gar nicht ums Türaufhalten geht. Es geht darum, dass er an einem ruhigen und abgeschiedenen Ort mit mir reden will, wo uns seine Freundin nicht belauschen kann. Da mir klar ist, dass ich mich nicht ohne Weiteres verweigern kann, folge ich ihm
nach draußen und an den Grill, wo er mit dessen Abdeckung kämpft, die Regler aufdreht und sich den allgemeinen Vorbereitungen zum Hamburger-Braten widmet.
Er ist derart in seine Aufgabe vertieft, dass ich schon gehen will, in der Annahme, ihn völlig falsch verstanden zu haben, als er zu sprechen anhebt. »Und, wie läuft’s dieses Jahr mit der Schule? Ich hab dich nicht oft gesehen – wenn überhaupt.« Er wirft mir einen raschen Blick zu, ehe er sich wieder seinem Fleisch zuwendet und irgendeine geheime Gewürzmischung darauf streut, während ich daneben stehe und versuche, mir eine Antwort einfallen zu lassen.
Da es vermutlich zwecklos ist, jemanden anzulügen, der genauso gut in die Anwesenheitslisten schauen kann, sage ich nur: »Tja, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich abgesehen vom ersten so gut wie jeden Tag geschwänzt habe. Offen gestanden bin ich seither überhaupt nicht mehr hingegangen.«
»Ah.« Er nickt und stellt das Gewürzdöschen auf die Granitplatte, wendet sich zu mir um und lässt seinen Blick über mich schweifen. »Schlimmer Fall von Oberstufenblues, was?«
Ich kratze mich am Arm, obwohl es nicht juckt, und versuche, meinen Widerwillen einigermaßen unter Verschluss zu halten. Drüben am Fenster hält Sabine Wache, und allein ihr Anblick drängt mich zur Flucht.
»Normalerweise bricht es erst im letzten Halbjahr aus, wenn nach und nach alles in die Binsen geht. Aber anscheinend hast du dich schon früh angesteckt. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Ja, Sie können Ihrer Freundin sagen, dass sie nicht über mich urteilen soll – Sie können Haven sagen, dass sie nicht versuchen
soll, mich umzubringen – Sie können Honor sagen, dass sie mich nicht bedrohen soll – und Sie können die lange verborgene Wahrheit über Damen und mich ausgraben. Ach, und in Ihrer Freizeit könnten Sie noch ein gewisses weißes Hemd mit Flecken besorgen und es zur Analyse ins kriminaltechnische Labor schicken – das wäre super!
Aber natürlich sage ich nichts davon, sondern zucke nur die Achseln und seufze noch
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