Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
mehr erschüttert haben, als ich mir eingestehen will.
Doch er tut es nur mit einem Achselzucken ab und macht die Augen so schmal, dass ich die Pupillen kaum noch sehe. »Also, ich will dich nicht beleidigen, aber es ist einfach nicht mein Ding, das ist alles. Ich bin nicht daran interessiert. «
Ich zucke meinerseits die Achseln und mache Anstalten, zum nächsten Punkt überzugehen, also den Parkplatz zu verlassen und den eigentlichen Zweck unseres Treffens in Angriff zu nehmen.
»Also …« Er sieht mich an. »War’s das? Ist jetzt alles klar?«
»Klar ist alles klar. Aber wir sind noch lange nicht fertig.« Ich bedeute ihm, mir zu folgen, während ich auf das Tor zugehe. Ich schließe kurz die Augen und sehe im Geiste das Schloss aufspringen, dann rufe ich ihm zu: »Glaub mir, wir haben noch nicht mal angefangen.«
Ich stoße das Tor auf, in der Annahme, dass er mir folgt, und wundere mich, als ich mich umsehe und feststelle, dass er immer noch auf der anderen Seite steht.
»Ever, worum geht es hier eigentlich? Warum wolltest
du dich ausgerechnet hier mit mir treffen? Ich dachte, du hast mit der Schule abgeschlossen?«
Ich schüttele den Kopf und betrachte eine Gruppe von Gebäuden, denen ich die ganze Woche erfolgreich aus dem Weg gegangen bin und die ich nicht im Geringsten vermisst habe. »Leider nicht. Außerdem ist das hier der einzige Ort, der mir eingefallen ist, wo wir den Platz und die Ruhe haben, die wir brauchen werden.«
Seine gespaltene Braue schießt nach oben. Jetzt ist er neugierig geworden.
Ich verdrehe nur die Augen und gehe auf die Turnhalle zu, da ich weiß, dass er mir jetzt auf dem Fuße folgt.
»Ist die Tür auch abgesperrt?« Sein Blick wandert über meine Arme, meine Beine, meinen Nacken, praktisch alle Stellen, wo meine Haut nackt ist.
Ich nicke und konzentriere mich auf die Tür, bis der Riegel zurückschnappt und ich sie aufziehen kann. »Du zuerst«, sage ich.
Er tritt ein und marschiert in die Mitte des Raums, wobei seine Flipflops auf dem gebohnerten Holzboden quietschen. Dort bleibt er stehen, hebt seitlich die Arme, wirft den Kopf in den Nacken, atmet tief ein und sagt: »Ja, hier herrscht definitiv der altbekannte Turnhallengestank, an den ich mich so gut erinnere.«
Ich lächele, aber nur ein bisschen, ehe ich mich wieder unserer Sache widme.
Ich bin nicht hierhergekommen, um herumzualbern oder nutzlosen Smalltalk zu betreiben. Ich bin gekommen, um Jude zu retten. Oder vielmehr um ihn alles zu lehren, was er wissen muss, damit er sich selbst retten kann, für den Fall, dass ich nicht da bin und es ihm abnehmen kann.
Denn ganz egal, wie wütend ich auch auf ihn sein mag,
ganz egal, wie viele Zweifel ich an ihm haben mag, ich finde immer noch, dass es meine Aufgabe ist, ihn vor Haven zu beschützen.
»Ich dachte mir, wir kommen am besten gleich zur Sache, ohne noch mehr Zeit zu vergeuden.«
Er sieht mich an, und auf seinem Gesicht liegt ein leichter Schweißfilm. Allerdings bleibt unklar, ob das an der abgestandenen, stickigen Luft liegt oder an der Anspannung bezüglich dessen, worauf er sich da eingelassen hat und was wohl von ihm erwartet wird.
Ich orientiere mich kurz, werfe meine Tasche in die Ecke, binde meinen Schuh neu und ziehe das T-Shirt aus, sodass ich nur mit dem Tanktop dastehe, das ich darunter trage. Ich ziehe den Gummibund meiner Shorts zurecht und gehe auf Jude zu. »Du weißt ja schon über die Chakren Bescheid«, sage ich und mustere ihn aufmerksam, lasse ihm jedoch keine Zeit, um zu reagieren. »Ich meine, nachdem du Roman auf diese Weise erfolgreich unschädlich gemacht hast …«
»Ever, ich …«, beginnt er, doch ich erlaube es ihm nicht, lasse gar nicht erst zu, dass der Strom an Ausreden zu fließen beginnt. Ich habe alles schon gehört, und es beeindruckt mich kein bisschen. Außerdem kann ich es mir nicht leisten, mich in einen Streit verwickeln zu lassen, der meine Meinung über ihn – über die Sache – ändern könnte.
»Spar’s dir.« Ich hebe eine Hand in die Höhe. »Das ist ein anderes Thema für einen anderen Tag. Im Moment werden wir nur darüber sprechen, dass Haven Kräfte hat, die du dir nicht einmal ansatzweise vorstellen kannst.« Die ich mir selbst nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. »Kräfte, von denen sie zurzeit ziemlich berauscht ist, was sie skrupellos
und gefährlich und damit zu jemandem macht, dem du unter allen Umständen aus dem Weg gehen musst. Falls du ihr allerdings zufällig begegnest oder –
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