Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
Geheimnisse habe.« Er sieht mich erneut an. »Keine privaten Gedanken, nichts, auf das du nicht einen superexklusiven Blick erhaschen konntest.« Er funkelt mich an. »Und seit wann geht das schon so, Ever? Seit dem Tag, an dem wir uns kennen gelernt haben, nehme ich an?«
Ich schüttele den Kopf. Er muss mir glauben. »Nein. Ehrlich, das stimmt nicht. Ich meine, ja, ich hab schon mal deine Gedanken gelesen, das hab ich ja schon zugegeben, aber nur ein paarmal, und das auch nur, wenn ich dachte, du wüsstest etwas, das mir …« Ich hole tief Atem, sehe seine zusammengekniffenen Augen, den verkrampften Kiefer, ein sicheres Zeichen dafür, dass das hier nicht so glatt läuft, wie ich gehofft hatte. Trotzdem hat er eine Erklärung verdient, ganz egal wie wütend sie ihn macht, und so räuspere ich mich und rede einfach weiter. »Ehrlich, die einzigen Male, die ich in deinen Kopf gespäht habe, waren, um zu sehen, ob du der Wahrheit über Damen und mich auf der Spur bist – das ist alles. Ich schwör’s. Nach etwas anderem hab ich nicht geschaut. Außerdem, nur damit du’s weißt, früher hab ich ständig die Gedanken von allen gehört – Hunderte oder manchmal auch Tausende von Gedanken auf einmal. Es war ohrenbetäubend und niederschmetternd, und ich habe es gehasst. Deshalb hab ich auch die ganze Zeit Kapuzen-Sweatshirts getragen und den iPod aufgehabt. Es war nicht
nur mieses Styling, weißt du?« Ich sehe, wie sein Rücken und seine Schultern steif werden. »Das war das Einzige, was mir eingefallen ist, um alles auszublenden. Ich meine, dir mag es albern vorgekommen sein, aber es hat seinen Zweck erfüllt. Erst als Ava mir gezeigt hat, wie ich mich abschirmen und alles ausblenden kann, konnte ich lockerlassen. Also hast du gewissermaßen Recht. Von dem Tag an, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich alles hören, was dir durch den Kopf gegangen ist – genau wie ich auch alles gehört habe, was allen anderen durch den Kopf gegangen ist. Doch das war nicht, weil ich es hören wollte, sondern weil ich keine andere Wahl hatte. Aber deine Angelegenheiten sind deine Angelegenheiten, Miles. Ehrlich, ich hab mir total verkniffen, dir deine Geheimnisse abzulauschen. Das musst du mir glauben.«
Mein Blick folgt ihm, als er erneut durch den Laden tigert, den Rücken zu mir gekehrt und das Gesicht auf eine Art und Weise verborgen, die ich nicht deuten kann. Seine Aura wird allerdings immer heller, leuchtender, ein sicheres Zeichen dafür, dass er allmählich einlenkt.
»Es tut mir leid«, sagt er und wendet sich schließlich zu mir um.
Ich frage mich, wofür in aller Welt er sich angesichts all dessen entschuldigen muss.
Doch er schüttelt nur den Kopf und sagt: »Was ich früher über dich gedacht habe – na ja, nicht wirklich über dich, sondern in erster Linie über deinen Kleidungsstil – aber trotzdem.« Er zieht eine Grimasse. »Nicht zu fassen, dass du das mitgekriegt hast.«
Ich zucke die Achseln, mehr als bereit, das abzutun. Für mich ist das Schnee von gestern.
»Ich meine, nach all dem warst du immer noch bereit,
mit mir abzuhängen, immer noch bereit, mich Tag für Tag zur Schule mitzunehmen, und immer noch bereit, mit mir befreundet zu sein …« Er hebt die Schultern und seufzt.
»Schon gut.« Ich lächele hoffnungsvoll. »Ich will nur eines wissen: Bist du noch bereit, mit mir befreundet zu sein?«
Er nickt. Nickt, kommt auf mich zu und legt die Hände gespreizt auf den Ladentisch. »Für den Fall, dass du dich gefragt hast – eigentlich war es Haven, die es mir als Erste gesagt hat.«
Ich seufze, denn das hatte ich mir schon gedacht.
»Tja, das ist jetzt aber keine Kehrtwendung, denn sie hat es mir nur so andeutungsweise gesagt.« Er zeigt auf einen Ring in der Auslage, den ich ihm sofort reiche, damit er ihn anprobieren kann. »Sie hat mich quasi zu sich nach Hause zitiert …« Er hält inne und blickt mit prüfender Miene auf seine Hand, um den Ring zu bewundern. Dann streift er ihn ab und zeigt auf einen anderen. »Du weißt, dass sie ausgezogen ist, oder?«
Ich schüttele den Kopf. Das wusste ich nicht, aber ich hätte es mir eigentlich denken können.
»Sie wohnt jetzt in Romans Haus. Keine Ahnung, wie lange das so gehen wird, aber sie hat erwähnt, dass sie sich vor dem Gesetz für volljährig erklären lassen will, also nehme ich an, dass es ihr ziemlich ernst damit ist. Na, jedenfalls langer Rede kurzer Sinn, sie hat mich praktisch zu sich eingeladen, mir einen
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