Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
mehr diese Person. Ganz zu schweigen davon, dass alles, was sie gerade gesagt hat, wahr ist.
Ich habe Damen traurig gemacht.
Und einsam.
Und begierig nach Ablenkung.
Und das lässt sich nicht leugnen.
Aber so einfach ist es nun auch wieder nicht. Es steckt noch wesentlich mehr dahinter, und ich bezweifle, dass ihr das überhaupt klar ist.
Doch wie sie gesagt hat, bin ich Jude tatsächlich nähergekommen. Allerdings nicht in romantischem Sinne, wie sie vermutet.
Während zweifellos eine unleugbare Anziehung zwischen uns besteht, die uns auf ewig zu verbinden scheint, ist es ironischerweise diesmal Jude, der auf die Bremse tritt. Womit er unmissverständlich klarmacht, dass er keinerlei Interesse daran hat, mich nur vorübergehend für sich zu gewinnen.
Er will mich richtig haben.
Er will mich für immer.
Er will sichergehen, dass ich eine klare Trennung von Damen und von allem, was uns verbindet, vollzogen habe.
Will, dass ich aus Überzeugung auf ihn zugehe, ohne einen einzigen Blick zurück auf das, was ich einst hatte.
Erklärt, dass er die Art von Liebeskummer nicht noch einmal ertragen kann.
Und dass es dadurch, dass es im Lauf der Jahrhunderte schon öfter passiert ist, nicht leichter wird.
Doch da ich ihm das jetzt noch nicht geben kann – trotz allem, was er mir über unser früheres Leben in den Südstaaten erzählt und womit er meine schlimmsten Vermutungen bestätigt hat, nämlich dass Damen mich gekauft, aus meiner Familie herausgerissen und jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen hat, damit er mich für sich allein hatte. Das kann ich noch immer nicht an mich heranlassen.
Selbst nachdem er alles Weitere enthüllt hatte – dass er, kurz nachdem Damen mich mitgenommen hatte, zusammen mit meiner Familie bei einem schrecklichen Feuer ums Leben kam, dem sie nie ausgesetzt gewesen wären, wenn sich Damen die Mühe gemacht hätte, sie zu retten. Was mehrere tragische Todesfälle zur Folge hatte, für die es eigentlich keine Entschuldigung gibt.
Ich meine, wenn man seinen immensen Reichtum und seine gewaltigen Kräfte in Betracht zieht, dann ist eine solche Handlung, ein so eiskaltes, berechnendes und herzloses Verhalten seinerseits, das in einer solchen Tragödie geendet hat, einfach völlig unverzeihlich.
Trotzdem bin ich noch nicht bereit, ihn aufzugeben.
Allerdings auch noch nicht bereit, ihn wiederzusehen.
Jedenfalls habe ich nicht vor, Ava irgendetwas davon anzuvertrauen, und so schüttele ich einfach nur den Kopf.
»Es steckt wesentlich mehr dahinter«, sage ich und sehe ihr direkt in die Augen.
Sie nickt, fasst nach meiner Hand und drückt sie sanft. »Das bezweifle ich nicht, Ever. Ganz und gar nicht.« Sie hält inne und vergewissert sich, dass sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat, ehe sie fortfährt. »Aber pass auf, dass du nichts überstürzt. Nimm dir die Zeit, tief zu graben und alles wirklich durchzudenken. Und wenn du ins Zweifeln kommst, tja, du kennst ja mein bevorzugtes Heilmittel …«
»Meditation«, murmele ich lachend und verdrehe die Augen, dankbar für den Lichtstrahl, den sie auch in den finstersten Zeiten immer zuverlässig liefert. Als sie sich gerade entfernen will, ziehe ich sie zu mir zurück. Ich bin noch nicht bereit, mich schon jetzt von ihr zu trennen und sehe ihr fast flehend in die Augen. »Ava, weißt du was?«, sage ich. Ich packe sie fest am Arm und sehne mich auf einmal verzweifelt nach ihrem Rat, nach ein paar erhellenden Worten. »Weißt du irgendwas darüber? Über Damen, Jude und mich? Darüber, wen ich wählen soll?«
Sie sieht mich mit teilnahmsvoller Miene an, schüttelt aber trotzdem langsam den Kopf. Eine kastanienbraune Locke fällt ihr über die Stirn und verdeckt einen Moment lang ihre Augen, ehe sie die Haare wieder zurückstreicht. »Ich fürchte, das ist deine Reise, Ever«, sagt sie. »Deine und nur deine. Nur du kannst herausfinden, welchen Weg du einschlagen musst. Ich stehe dir bloß freundschaftlich zur Seite.«
SIEBZEHN
D anke für deine Hilfe.« Jude wirft sich ein feuchtes Geschirrtuch über die Schulter und lehnt sich gegen den alten Kühlschrank, der kein Vergleich zu Damens oder Sabines Gerät ist. Er ist weder aus glänzendem Edelstahl noch so groß wie ein begehbarer Kleiderschrank, sondern alt und grün und macht seltsame gurgelnde Geräusche. Jude hakt sich die Daumen in die leeren Gürtelschlaufen seiner Jeans, schlägt lässig die Beine übereinander und sieht zu, wie ich die letzten Gläser und Tassen in die
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