Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
er mir begegnet ist, hatte kein anderer mehr eine Chance.
Doch das Leben, für das ich mich am meisten interessiere, ist das Leben, das als Letztes kommt.
Mein Leben in den Südstaaten.
Damals, als ich als Sklavin gelebt und geschuftet habe.
Damals, als mich Damen auf Kosten meiner Lebensfreude freigekauft hat.
Ich sehe das ganze unglückliche Leben vor mir ablaufen, von einer Kindheit, die keine war, bis zu dem einzigen Lichtblick in diesem ganzen Dasein – einem kurzen Kuss von Jude.
Wir beide schleichen uns davon und treffen uns bei Sonnenuntergang hinter der Scheune. Ich weiß nicht, was mein Herz mehr zum Flattern bringt – die Vorfreude auf meinen hoffentlich ersten Kuss oder die Angst, dabei erwischt zu werden, wie ich mich vor der Arbeit drücke. Ich weiß, dass die Strafe für so etwas eine schwere Tracht Prügel ist – oder Schlimmeres.
Trotzdem bin ich entschlossen, mein Versprechen zu halten und mich mit ihm zu treffen. Ich bin erfüllt von einer seltenen Freude, einem ungeahnten Aufwallen von Glück, als ich sehe, dass er mich bereits erwartet.
Er lächelt verlegen, und ich nicke zur Erwiderung, auf einmal von heftiger Schüchternheit befallen, einer Angst, allzu willig zu erscheinen. Doch es dauert nicht lange, bis ich sehe, wie seine Hände zittern und sein Blick nervös umherwandert, und schon weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, die unsicher ist.
Wir tauschen ein paar Nettigkeiten aus, die Art von phrasenhaften Bemerkungen, denen keiner von uns nennenswerte Bedeutung beimisst. Dann, gerade als ich denke, dass ich schon zu lange weg bin und schnellstens wieder zurück muss, ehe meine Abwesenheit bemerkt wird, tut er es.
Er beugt sich zu mir, und seine großen braunen Augen betrachten mich mit solcher Liebe und Freundlichkeit, dass es mir den Atem raubt. Dann schließt er sie sachte und zeigt mir nur noch die geschwungenen dunklen Wimpern und ein paar hinreißende Lippen, die sich meinen nähern. Der kühle, süße Druck seines Mundes fühlt sich so weich und vertraut an, dass eine wundervolle Welle der Ruhe durch meinen Körper fließt.
Sogar noch nachdem es vorüber ist, selbst nachdem ich ihn weggestoßen habe, mich umdrehe, meine Röcke raffe und zum Haus zurückrenne, bleibt der Kuss bei mir.
Geschmack und Gefühl schwingen noch in mir nach, während ich im Stillen das geflüsterte Versprechen wiederhole, das wir uns gegeben haben, nämlich uns am nächsten Tag zur selben Zeit am selben Ort wieder zu treffen.
Doch wenige Stunden, bevor es dazu kommt, erscheint Damen auf der Bildfläche.
Er taucht scheinbar aus dem Nichts auf, genau wie in all meinen früheren Leben, nur dass er sich diesmal nicht die Zeit für eine ausgiebige Liebeswerbung oder auch nur für ein paar Schäkereien nimmt, denn seine Absichten sind viel zu dringend dafür.
Er ist entschlossen, mich zu kaufen. Mich aus einem peinvollen, schonungslosen Leben aus Brutalität und Sklaverei zu befreien und mir stattdessen ein so opulentes, so privilegiertes und zu allem, was ich gewohnt bin, so im Gegensatz stehendes Leben zu bieten, dass ich mir sicher
bin, dass er lügt, dass es ein Trick ist und auf keinen Fall wahr sein kann.
So sicher bin ich, dass mein Leben soeben eine Wendung zum Schlechteren genommen hat, dass ich nach meiner Mutter, meinem Vater rufe, die Finger nach Jude ausstrecke – er soll mich halten, beschützen, nicht gehen lassen, wohin auch immer ich mitgenommen werden soll. Überzeugt davon, dass ich aus der einzigen Form des Glücks herausgerissen werde, die ich je kannte, und vom Regen in die Traufe komme, bin ich voller Angst, gefangen in einem Zustand aus tiefer Verstörung und Angst. Bin voller Argwohn gegenüber diesem neuen Herrn mit seiner weichen Stimme, der leise zu mir flüstert, mich respektvoll behandelt und mich mit einer Art von Verehrung ansieht, wie ich sie nie kannte und von der ich sicher bin, dass sie nicht echt ist.
Er bringt mich umsichtig in einem eigenen Zimmer unter, in einem eigenen Flügel des Hauses, das wesentlich größer und nobler ist als das, das ich bisher putzen musste. Ich habe keine anstrengenderen Pflichten als schlafen, essen, mich anziehen und träumen, ohne erniedrigende Arbeiten verrichten oder schmerzhafte Prügel über mich ergehen lassen zu müssen.
Er macht mich mit meiner neuen Umgebung vertraut, zeigt mir mein neues Zuhause – mein privates Badezimmer, ein Himmelbett, einen Schrank voller schöner Kleider, eine Frisierkommode mit den edelsten
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