Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
was ich hätte sein können, wenn ich nur anders entschieden hätte.
Wenn ich nur meinem Herzen gefolgt wäre statt meinem Kopf.
Eines ist allerdings überdeutlich klar geworden: Auch wenn es stimmt, dass Jude immer da gewesen ist, immer nett, großzügig und liebevoll mir gegenüber gewesen ist, ist doch Damen mein einziger und wahrer Seelengefährte.
Ich öffne den Mund, verzehre mich danach, seinen Namen zu rufen, verzehre mich danach, die Laute auf meinen Lippen, meiner Zunge zu spüren, in der Hoffnung, ihn irgendwie zu erreichen.
Doch es kommt nichts.
Und selbst wenn, wäre niemand da, der mich hören würde.
Es ist aus.
Meine Ewigkeit.
Abgeschnitten.
Finster.
Immer wieder gequält von einer Vergangenheit, die ich nicht ändern kann.
Im Wissen, dass Drina irgendwo ihr Unwesen treibt. Und Roman. Jeder von uns in seiner eigenen Version der
Hölle gefangen, ohne Möglichkeit, einander zu erreichen und ohne Ende in Sicht.
Also tue ich das Einzige, was in meiner Macht steht – ich schließe die Augen und ergebe mich. Denke mir, wenn ohnehin alles zu spät ist, dann weiß ich jetzt wenigstens Bescheid.
Wenigstens habe ich nun die Antwort gefunden, die ich so lange gesucht habe.
Lautlos flüstere ich in die Leere, meine Lippen bewegen sich unaufhörlich, schnell und stumm. Ich rufe seinen Namen, rufe ihn zu mir.
Obwohl es sinnlos ist.
Obwohl es vergeblich ist.
Obwohl es längst viel zu spät ist.
SIEBENUNDZWANZIG
D er Klang seiner Stimme schwebt über mir, durch mich und überall um mich herum. Wie ein vages Summen aus weiter Ferne, das Ozeane, Kontinente und Galaxien überquert, um mich zu erreichen.
Doch ich kann nicht antworten, bin außer Stande, irgendwie zu reagieren. Es ist zwecklos. Unwirklich.
Eine Sinnestäuschung.
Ein Spott des Schattenlands.
Niemand kann mich erreichen, jetzt, da ich hier bin.
Mein Name ist ein Flehen auf seinen Lippen, als er sagt: »Ever, Liebes, mach die Augen auf und sieh mich an – bitte.« Worte, die mir so vertraut sind, dass ich schwören könnte, sie schon einmal gehört zu haben.
Und genau wie schon einmal fällt es mir schwer, ihnen zu entsprechen. Langsam schlage ich die Lider auf und sehe, wie er mich mustert. Erleichterung zeichnet sich auf seinen Zügen ab, als er mich mit seinen tiefbraunen Augen fixiert.
Doch es ist nicht real. Es ist irgendeine Art Spiel. Das Schattenland ist ein grausamer und einsamer Ort, und ich kann es mir nicht leisten, darauf hereinzufallen.
Er schlingt die Arme um mich, hüllt mich ein, wiegt mich, und ich lasse es geschehen, lasse mich hineinsinken, denn auch wenn es nicht real ist, ist es einfach zu schön, um zu widerstehen.
Ich versuche es noch einmal, ringe darum, seinen Namen
auszusprechen, doch er presst mir mit sanftem Druck einen Finger auf die Lippen. »Nicht sprechen«, flüstert er. »Alles ist gut. Dir fehlt nichts. Jetzt ist alles vorbei.«
Ich weiche zurück, ohne den Blick von ihm zu lösen, bin indes noch nicht ganz überzeugt. Ich betaste meinen Hals und suche nach Beweisen, befühle genau die Stelle, an der Havens Faust mich getroffen hat.
Mich ausgelöscht hat.
Ich weiß noch genau, was für ein Gefühl es war, zum zweiten Mal in diesem Leben zu sterben.
Es war ganz anders als beim ersten Mal.
Ich studiere Damens Gesicht, sehe die Besorgnis auf seinen Zügen, die Erleichterung, die sich allmählich ausbreitet, und will, dass er begreift, was sich hier wirklich und tatsächlich abgespielt hat. »Sie hat mich umgebracht«, sage ich zu ihm. »Obwohl ich so oft und so ausgiebig trainiert habe, war ich ihr letztlich doch nicht gewachsen.«
»Sie hat dich nicht umgebracht«, flüstert er. »Ehrlich, du bist noch da.«
Ich will mich aufsetzen, aber er umfasst mich nur noch fester. Und so sehe ich mich im Laden um und betrachte die Scherbenhaufen und die umgekippten Bücherregale – wie eine Szene aus dem klischeehaftesten Katastrophenfilm mit Erdbeben, Tornados und einem brutalen Attentat.
»Aber ich war im Schattenland – ich habe es gesehen …«
»Ich weiß«, fällt er mir ins Wort. »Ich habe deine Verzweiflung gespürt. Aber obwohl es dir wahrscheinlich lang vorkam – für mein Gefühl war es jedenfalls lang –, war es nicht annähernd lang genug, dass die silberne Schnur gerissen wäre und deinen Körper von deiner Seele getrennt hätte. Und deshalb konnte ich dich zurückholen.«
Obwohl er mit solchem Selbstvertrauen spricht, obwohl
er nickt und mir mit absoluter Gewissheit in die
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