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Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Titel: Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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Sachen zusammenzupacken, und Vic brachte sie mit mir zusammen zum Kutschhaus, während Raquel das Teleskop schleppte. Ich nahm nicht alles mit; es war sinnlos, so zu tun, als ob ich mich hier je wirklich einleben würde. Aber es gelang mir, die geschnitzte Brosche hineinzuschmuggeln, die Lucas mir letztes Jahr geschenkt hatte. Für mich war das mein eigener Stein mit ganz eigener Macht, mein Talisman, mein Schutzschild gegen diesen düsteren Ort.
     
    Spät nachts lag ich manchmal in Mrs. Bethanys riesigem Himmelbett und bildete mir ein, dass sich die Schatten in den Zimmerecken plötzlich bewegten oder dass die Luft kälter war, als ich angenommen hatte, oder eine ganze Reihe anderer verrückter Dinge. Dann griff ich nach der Brosche auf dem Nachttisch und hielt sie fest in meiner Hand verborgen, während ich mit ganzer Kraft versuchte, meine Furcht und meine Einsamkeit verschwinden zu lassen. Es spielte keine Rolle, dass ich Lucas verloren hatte. Die Erinnerung an ihn würde mir für alle Zeit Kraft verleihen.
    Als sich der April dem Ende zuneigte, wurde es sehr still in der Schule. Noch weitere Schüler waren angesichts der letzten Ereignisse mit dem Geist geflohen, und nur etwa zwei Drittel der Schülerschaft waren noch geblieben. Die Vampire waren weitaus schneller bereit gewesen zu flüchten, was bedeutete, dass die verbleibenden Menschen beinahe die Hälfte der Schüler stellten. Die Stimmung war insgesamt freundlicher geworden, und weil so viele der Menschen Geister für keine große Sache hielten, war die Atmosphäre beinahe entspannt. Ich hätte es genossen, wenn ich meine Zeit nicht im Exil hätte verbringen müssen.
    Die vorletzte Nacht im April hielt jedoch ein kleines Sahnestückchen für mich bereit - einen blauen Mond.
    Natürlich ist es nicht so, dass ein blauer Mond ein unglaubliches astronomisches Ereignis darstellt. Es bedeutet nichts weiter, als dass es in einem einzigen Monat einen zweiten Vollmond gibt. Aber ich hatte ein solches Vorkommnis immer gerne ein bisschen gefeiert, nur um es auf keinen Fall zu verpassen, in den Himmel hinaufzuschauen und mich daran zu erinnern, dass es nicht viele solcher Nächte gab.
    Ich wartete bis spät in der Nacht, ehe ich in meine Jeans und ein T-Shirt schlüpfte. Ich wollte allein sein. Der Himmel war zu bewölkt, um wirklich die Sterne zu beobachten, aber der Mond schien hell und tönte die Wolken ringsum mit seinem fahlen Schein.
    Rasch lief ich übers Schulgelände zum Pavillon, sodass ich mich hinsetzen und den Mond durch das schmiedeeiserne Gitter betrachten konnte. Ich hatte noch ganz andere Erinnerungen an den Pavillon. Erinnerungen an Lucas.
    Dies war der Ort, an dem wir uns zum ersten Mal geküsst hatten.
     
    »Du liebst den blauen Mond ja noch immer.«
    Ich wirbelte herum und sah Lucas hinter mir stehen.
    Zuerst glaubte ich ernsthaft, ich würde mir das Ganze nur einbilden. Aber er betrat den Pavillon, seine abgewetzten Stiefel ließen den Boden knarren, und ich war mir mit einem Schlag sicher, dass er tatsächlich da sein musste.
    »Lucas? Was … was machst du denn hier?« Ich sah mich rasch um. »Es ist gefährlich. Wenn sie dich hier finden …«
    »Sie werden mich nicht finden.«
    »Doch, das werden sie, wenn du hier einfach nur herumstehst!« Nun, wo ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, dass Lucas nach Evernight zurückgekommen war, war ich beinahe ungläubiger als vorher: Es war leichtsinnig, ja beinahe schon selbstmörderisch. »Jede Sekunde könnte irgendjemand hier aufkreuzen!«
    »Ich werde nicht viel länger bleiben.« Lucas steckte die Hände in die Taschen seiner Cordhose. Er trug ein altes Flanellhemd über einem T-Shirt, und sein ganzer Körper war sprungbereit, angespannt und jederzeit auf einen Kampf eingerichtet. Aber nichts von dieser Energie war gegen mich gerichtet. Als Lucas mich ansah, waren seine Augen nur traurig. »Ich hatte mir schon gedacht, dass die Chance groß sein würde, dich heute Nacht hier draußen zu erwischen, bei diesem blauen Mond und alldem.«
    »Ja. Du hast mich erwischt.« Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Meine Sehnsucht nach ihm ließ sich nicht in Worte fassen, und ich war so durcheinander, dass mir auch sonst nichts einfiel, was ich hätte tun können. »Wie lange wartest du denn schon hier draußen?«
    »Seit Sonnenuntergang.«
    Es war beinahe Mitternacht. Er hatte sich stundenlang auf dem Evernight-Gelände herumgedrückt. Wenn ihn jemand bei Mrs. Bethany gemeldet hätte, dann

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