Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
wäre er in der Zwischenzeit schon festgesetzt worden und vielleicht auch bereits tot. Er war so leichtsinnig wie immer, aber dieses Mal konnte ich nicht wütend deswegen sein. »Warum bist du gekommen?«
»Weil ich die Dinge zwischen uns nicht so stehen lassen konnte.«
»Ich war so gemein zu dir«, flüsterte ich. »Lucas, es tut mir so leid.«
»Du warst wütend, und du hattest auch jedes Recht dazu.«
»Wir haben Courtney dann doch noch eingeäschert.«
»Okay, vielleicht hattest du kein Recht, deswegen wütend zu sein.« Eine Spur von einem Lächeln spielte um seinen Mund, aber nur ganz kurz. Seine Frisur war herausgewachsen, die Haare waren verstrubbelt. Mir schien es, dass er abgenommen hatte. Achtete er nicht mehr auf sich selbst? »Du hast gesagt, ich würde es nicht akzeptieren, dass du eine Vampirin bist, Bianca. Ich schätze … damit lagst du richtig.«
Auch wenn ich von allein darauf gekommen war, tat es doch weh, diese Wahrheit aus seinem Mund zu hören. »Du hast mir mal gesagt, du würdest mich lieben, egal, was geschehen würde.«
»So ist es auch«, sagte Lucas und holte in kleinen Stößen Atem. »Aber als ich das gesagt habe, war es, als ob ich dich liebte, obwohl du eine Vampirin bist. Im Innern war es …, als ob ich dir verzeihen würde, was du bist. Das ist vermutlich das Armseligste, was ich je einer Person angetan habe. Ich habe gar nicht gemerkt, was für ein Idiot ich war. Wenn ich es doch nur eher herausgefunden hätte, dann hätte ich dir das sein können …, was ich dir hätte sein sollen. Was ich immer sein wollte.«
»Lucas …«
»Lass mich ausreden, okay? Du weißt, dass ich bei diesem emotionalen Kram immer versage. Also will ich nur …« Sein Fuß schabte über den Boden des Pavillons. »Was auch immer es ist, das dich zu der Person macht, die du bist …, es ist das, was ich liebe. Alles daran. Auch, dass du eine Vampirin bist. Du hättest dich niemals deswegen verteidigen müssen, und ich hätte es schon vor langer Zeit akzeptieren sollen. Wenn ich das getan hätte, hätte ich dich vielleicht nicht verloren. Es ist meine Schuld, und das weiß ich.«
Er starrte auf seine Stiefel hinab. Ich wusste, wenn er mir stattdessen ins Gesicht gesehen hätte, hätte er niemals glauben können, dass er mich verloren habe.
Noch leiser fuhr er fort: »Ich habe die Sache mit Balthazar kommen sehen. Das hat mich schier wahnsinnig gemacht. Aber, du weißt schon, für … für irgendeine andere wäre er ein toller Kerl, und ich schätze, er hat dich nie darum gebeten, so zu tun, als wärst du jemand anderes. Vielleicht ist er ja der Richtige für dich. Ich wollte dir nur sagen, Bianca, wenn du glücklich bist, dann freut mich das. Du verdienst es.«
»Ich bin nicht mit Balthazar zusammen.«
Lucas hob den Kopf; er war fassungslos. »Nicht?«
»Nein. Wir waren nie zusammen, jedenfalls nicht richtig.«
»Oh. Okay.« Lucas trat von einem Fuß auf den anderen und war offensichtlich hin- und hergerissen zwischen Hoffen und Ungläubigkeit. »Hör zu … Ich weiß, dass ich es vermasselt habe, aber wenn ich …«
Ich sprang auf und schlang meine Arme um ihn. Lucas drückte mich fest an sich, während ich mein Gesicht im Bogen seines Schlüsselbeins vergrub. Zuerst sagte keiner von uns beiden etwas. Ich glaube, wir konnten beide nicht sprechen. Es fühlte sich so unsagbar gut an, ihn wieder zu umarmen, ihn bei mir zu haben, nachdem ich gedacht hatte, ihn für immer verloren zu haben. Hatte ich ihm nicht gesagt, er solle daran glauben, dass wir einander immer wiederfinden würden? Ich hätte auf meinen eigenen Rat hören sollen.
»Ich liebe dich so sehr«, flüsterte ich schließlich.
»Ich liebe dich auch. Ich schwöre bei Gott, dass ich es nie wieder so vor die Wand fahren werde.«
»Aber du hattest mit allem recht.«
Lucas’ Hände fuhren durch mein Haar. »Wohl kaum.«
»Lucas, ich meine es ernst. Du wusstest, dass meine Eltern lügen. Du wusstest, wie Vampire in Wahrheit sind. Wenn ich doch nur auf dich gehört hätte, dann wäre nichts von allem geschehen.«
»Oh.« Lucas griff nach meinen Händen und zog mich auf die Bank im Pavillon. Der blaue Mond schien durch die Efeublätter auf uns herunter. »Wovon redest du eigentlich?«
Die ganze Geschichte sprudelte aus mir heraus: die Wahrheit darüber, wie ich geboren worden war, wie die Geister auf mich Jagd gemacht hatten und wie ich anscheinend zur Schachfigur im Kampf zwischen Geistern und Vampiren geworden war, wobei beide
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