Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
bekommen, brauchten wir eine Art Hilfe.«
Mein erster, verwirrter Gedanke galt einer Klinik für künstliche Befruchtung, aber dann überlegte ich mir, dass sie vermutlich keine Vampir-Patienten aufnehmen würden. Dann stolperte ich über Moms letzte Worte: Halbleben. Das Leben des Körpers.
Auch Mrs. Bethany hatte darüber gesprochen, als sie mir zum ersten Mal von Geistern erzählt hatte. Die Vampire repräsentieren den Körper. Die Geister repräsentieren die Seele.
Langsam sagte ich: »Ihr seid einen Handel mit den Geistern eingegangen. Sie … haben es euch ermöglicht, mich zur Welt zu bringen.«
Beinahe sahen sie erleichtert aus, dass ich es ausgesprochen hatte, auch wenn Erleichterung tausend Lichtjahre von dem entfernt war, was ich empfand. Mom sagte: »Wir haben sie gesucht. Wir haben sie um ihre Hilfe gebeten. Wir wussten nicht, um was wir da baten … Die meisten Vampire wissen nichts davon, und wir hatten nur Getuschel gehört, Gerüchte …«
Dad unterbrach sie. »Die Geistwesen … haben Besitz von uns ergriffen, denke ich. Nur für einen kurzen Augenblick.«
Ich schnitt eine Grimasse. »Während ihr …«
»Nein, Liebling, nein!« Mom fuchtelte mit den Händen vor sich rum, als wollte sie meine Worte ausradieren. »So war das nicht! Ich weiß auch nicht, was genau sie getan haben, aber innerhalb weniger Monate warst du unterwegs. Wir sind zurückgegangen, um ihnen zu danken.« Mit bitterer Stimme wiederholte sie: »Zu danken .«
»Und sie sagten, dass du nun ihnen gehören würdest.« Dads Gesichtsausdruck war grimmig. »Sie sagten, wenn du in das richtige Alter kämest, müssten wir dich zum Geist und nicht zur Vampirin werden lassen. Und nun versuchen sie, dich zu töten … Dich zu töten, denn ein Mord bringt einen Geist hervor. Sie versuchen, dich uns zu stehlen, Bianca. Aber du musst keine Angst haben. Wir lassen das nicht zu.«
Mein ganzes Leben lang hatte ich mich so besonders gefühlt, so geliebt, weil meine Eltern mir erzählt hatten, dass ich ihr Wunderbaby wäre. Ich hatte mich immer sicher bei ihnen gefühlt.
Aber ich war kein Wunder. Ich war das Ergebnis eines hässlichen, schmutzigen Handels, bei dem beide Seiten betrogen hatten. Und meine Eltern, denen ich immer vorbehaltlos vertraut hatte, hatten mich seit dem Tag meiner Geburt belogen.
»Ich gehe«, sagte ich. Meine Stimme klang seltsam. Ich riss den Anhänger, den sie mir geschenkt hatten, von meinem Hals und schleuderte ihn auf den Fußboden.
Dad sagte: »Bianca, du musst bleiben, damit wir eine Lösung finden können.«
»Ich gehe, und wagt nicht, mich aufzuhalten.«
Mit diesen Worten stürmte ich zur Tür, denn ich wollte so gern aus dem Zimmer sein, ehe ich anfing zu weinen.
20
Ich hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer sein, als Lucas zu verlieren, aber ich hatte mich getäuscht. Das Schlimmste war die Erkenntnis, dass ich ihn für nichts und wieder nichts verloren hatte, weil er mit allem recht gehabt hatte: was die Vampire anging, meine Eltern und alles sonst.
Er hatte mir gesagt, meine Eltern würden mich anlügen. Ich hatte ihn deshalb angeschrien. Er hatte mir verziehen.
Er hatte mir gesagt, dass Vampire Killer seien. Ich hatte ihm gesagt, dass das nicht stimme, selbst dann noch, als Raquel von einem gejagt wurde.
Er hatte mir gesagt, dass Charity gefährlich sei. Ich hatte nicht auf ihn gehört, und sie hatte Courtney getötet.
Er hatte mir gesagt, dass Vampire niederträchtig seien, aber hatte ich seine Botschaft verstanden? Nicht, bis all meine Illusionen durch das Geständnis meiner Eltern zerplatzt waren.
Ich kam zu dem Schluss, dass der einzige Vampir, der mich niemals angelogen hatte, Balthazar war; doch nachdem ich gesehen hatte, wozu Charity in der Lage war, dachte ich, dass er sich selbst schon genügend vormachte. Alle anderen Vampire, meine Eltern eingeschlossen, waren falsch und hinterlistig.
Na ja, Ranulf vielleicht nicht. Aber der ganze Rest.
Und Lucas? Lucas hatte mir nur ein einziges Mal eine Lüge aufgetischt, und er hatte das Schwarze Kreuz nur deshalb vor mir geheim gehalten, weil es nicht allein sein Geheimnis war, das er mir nach freiem Willen hätte anvertrauen können. Ansonsten war er immer vollkommen ehrlich mit mir gewesen und hatte mir auch harte Wahrheiten nicht verschwiegen. Alle anderen hatten mich nicht für wert gehalten, sie zu hören.
Natürlich war ich nicht nur bedrückt, weil ich Lucas verloren hatte. Zu viele andere Dinge waren entsetzlich schiefgelaufen.
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